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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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stemmte sich mit seinen beiden Armen vom Kissen ab, und jetzt bewegte er sich mit solcher Heftigkeit auf ihr, daß ihrer beider Körper laut aufeinanderklatschten, und Janet krallte ihre Finger in seine Arme, rief abwechselnd Andrew selber oder den lieben Gott an oder stöhnte wie ein sterbendes Tier, und das genau war es, was der kleine Junge dachte: daß Andrew Janet jetzt umbrachte und daß er hätte hinlaufen und ihr helfen müssen, aber seine Beine waren wie gelähmt von Angst und Entsetzen, seine Handflächen naß vom Schweiß, sein Herzschlag
schien seine Brust bersten zu lassen. Janet schrie laut auf, und Andrew hielt hoch aufgerichtet auf ihr inne - ein Raubvogel, der ein kleines Tier erlegt hat -, dann sank er über sie, und sie lagen dort ineinander verschlungen, und in den Ohren des kleinen Jungen dröhnte es so grell, daß er ihren heftigen Atem nicht hören konnte und überzeugt war, daß sie nun beide gestorben waren. Und jedesmal machte er in diesem Moment, während Janets letztem schrecklichen Schrei, in die Hose. Und zu allem anderen kam noch die brennende Scham über dieses Mißgeschick, dieses Abgleiten in das Babyalter, dem er doch längst entwachsen war. Anfangs hatte er die durchweichten Sachen versteckt, aber unweigerlich fing Janet irgendwann an, danach zu fahnden, und spürte sie entweder selbst auf oder setzte ihm so lange zu, bis er den geheimen Ort preisgab. Wie sie dann betonte, war sie nicht ärgerlich über das, was ihm passiert war, sondern darüber, daß er es zu verheimlichen versucht hatte. »Hast du denn überhaupt kein Vertrauen zu mir? Antworte doch! Was ist los?«
    Aber es war die Zeit der Sprachlosigkeit. Er wußte nicht in Worte zu fassen, was in ihm vorging. Er vermochte seine Scham nicht zu artikulieren, und auch nicht seine Angst. Er konnte nicht von dem großen Mann sprechen, dem Janet wieder und wieder erlaubte, ihr Gewalt anzutun, und nicht von dem Entsetzen, das er empfand, wenn er meinte, sie beide unter schrecklichen Schmerzen sterben zu sehen.
    »Sie konnten«, hatte Professor Echinger später einmal gefragt, »auch mit Ihrem Vater nicht darüber reden?«
    Er hatte lange überlegt. Mit Phillip zu sprechen war ihm damals nie in den Sinn gekommen. »Nein. Ich konnte es nicht. Ich konnte - in einem beinahe physischen Sinne - nicht sprechen, wenn es darum ging.«

    »Ihre Mutter traf im Grunde überhaupt keine Sicherheitsvorkehrungen. Sie hätte doch befürchten müssen, daß Sie und Ihr Bruder sie, wenn auch zufällig und arglos, verraten?«
    Das war ein weiterer erschütternder Aspekt.
    »Sie schien nichts dergleichen zu befürchten. Später habe ich mir überlegt, daß...«
    »... daß Ihr Vater Bescheid wußte?«
    »Ja«, sagte Maximilan dumpf, »er wußte Bescheid. Und er nahm es hin.«
    Hatte Phillip in jedem Detail gewußt, was die beiden taten, während er fort war? Jede Variante körperlicher Liebe hatte sich vor den schreckgeweiteten Augen des kleinen Jungen abgespielt, wenn er in der angelehnten Tür kauerte und dem ekstatischen Treiben im Bett seiner Eltern zusah, den warmen Atem seines Bruders an seinem Hals spürte, sein angstvolles Keuchen an seinem Ohr hörte, die völlige Erstarrung des kleinen Körpers fühlte. Wieso, hatte er sich Jahre später gefragt, hatte Janet eigentlich nie die Tür richtig geschlossen? Ihm war nur eine mögliche Erklärung eingefallen: wegen ihrer Kinder. Sie hatte hören wollen, wenn sie nach ihr riefen. Und hatte dafür gesorgt, daß sie nie wieder nach ihr rufen würden.
    Einmal hatte er Erleichterung verspürt; das war, als er die beiden zum erstenmal in der umgekehrten Stellung gesehen hatte. Endlich, endlich rächte sich Janet für all die Demütigungen, die ihr angetan worden waren. Wie ein Zuschauer bei einem Boxkampf, der dem scheinbaren Verlierer besonders laut zujubelt, wenn er unerwartet auf die Füße kommt und den Gegner in ernsthafte Bedrängnis bringt, hätte er Janet am liebsten mit triumphierenden Zurufen angefeuert. Aber irgendwann begriff er, daß auch dies nur in Schreien und Stöhnen und Zusammenbrüchen endete. Und schließlich begann er, diese Stellung
fast am meisten zu fürchten, weil sie seine Mutter zu allem anderen auch noch würdelos machte. Bis dahin war sie nur Opfer gewesen, jetzt wurde sie selbst aktiv und damit abstoßend, widerlich. Sie sah häßlich aus mit dem schweißglänzenden, verzerrten Gesicht, den hin- und herschaukelnden Brüsten. Es war nicht seine Mama, wie er sie kannte. Mama

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