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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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auch nur allein bis London zu fahren, verließ von einem Tag zum anderen ihre Heimat und ihre Familie und siedelte über in ein Land, dessen Sprache sie nicht verstand und wo sie nicht eine Menschenseele kannte. Wenn sie an das qualvolle Alleinsein der ersten Monate dachte, dann fragte sie sich, wie sie das hatte überstehen können. Vermutlich nur, weil ihr nicht die kleinste Wahl geblieben war.
    Heute, ein Vierteljahrhundert später, war der Schmerz bloße Erinnerung. Aber die Narben fingen an zu pochen und zu brennen, als sie über die vertrauten Wege ging, neben sich den grauhaarigen Mann, der ihrem Leben Glanz und Wärme, aber auch Kälte und Verzweiflung geschenkt hatte.
    So viele Schmerzen, dachte Janet, so viel Einsamkeit, so viel Schuld... um dann wieder zueinander zu finden und hier in Cambridge, an einem sonnigen Sommertag, durch die Parks zu schlendern, als sei keine Stunde vergangen, seitdem man jung war.
    Sie betrachtete Andrew von der Seite. Er war versunken in seine Gedanken - in düstere Gedanken, wie es schien, denn er furchte die Stirn, und sein Gesichtsausdruck verriet Angespanntheit und Unzufriedenheit. Sicherlich beschäftigte er sich mit Fred Corvey.
    Sie berührte seinen Arm. »Wir sind hierher gefahren, damit du nicht an ihn denkst!«
    Er zuckte zusammen, er war tatsächlich weit weg gewesen. »Entschuldige«, sagte er. Dann betrachtete er sie und meinte: »Du warst gerade in der Vergangenheit, oder?«
    Wie so oft, verblüffte sie die Sensibilität mit der er erspürte, was in anderen vorging. »Ja«, erwiderte sie, »in ferner Vergangenheit.«
    In seinem Blick flackerte jäh ein Ausdruck von Reue auf, er drückte Janets Hand und sagte: »Ich habe dich damals sehr schlecht behandelt. Ich war gedankenlos und grausam. Ein Wunder, daß du dich überhaupt noch mit mir abgibst.«
    »Du warst jung. Und die Frauen haben es dir sehr leicht gemacht.«
    Er schüttelte den Kopf. »Das ist keine Entschuldigung. Bestenfalls eine Erklärung.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Wie auch immer. Es ist seit Ewigkeiten vorbei.«
    »Aber es tut noch weh, nicht?«
    »Ja. Aber ich muß es einfach irgendwie abhaken. Ich...«, sie holte tief Luft, »ich will nicht, daß es Macht über mich gewinnt. Mich vergiftet, so wie es deine geschiedene Frau vergiftet haben muß. Ich will nicht, daß es etwas von dem, was jetzt zwischen uns ist, beeinflußt. Ach, laß uns nicht mehr davon reden!«
    Sie schaute den schattigen Parkweg entlang, der vor ihnen lag. »Wie schön es hier ist. Wenn wir wieder einmal Zeit haben, sollten wir bis Norfolk hinauf fahren, ans Meer. Vielleicht wäre das sogar besser, als nach Cambridge zu gehen.«
    Sie kann es nicht »abhaken«, dachte Andrew, egal, wie sehr sie es versucht, sie wird nie ganz darüber hinwegkommen.
    Er fügte sich jedoch ihrem Wunsch, das Thema fallenzulassen, und sagte: »Wenn du wirklich in England bleibst, wird es dir nicht eigenartig vorkommen, nach so vielen Jahren in Deutschland?«
    »Ich bin nie heimisch geworden in Deutschland. Ich
habe es nur nie so richtig gemerkt - ich war verheiratet, mußte meine Kinder großziehen, Phillip und ich bauten die Kanzlei auf... es war wenig Zeit für Heimweh und Frustration. Aber seit ich hier bin, seit meinem ersten Abend in diesem uralten Pub irgendwo in Kent, ist mir klar, daß ich hierher gehöre. Die Luft, die Menschen, die Sprache, all das bin ich. Ich kann nicht mehr begreifen, wie ich es aushalten konnte, so lange weg zu sein.« Sie blieb stehen, und in ihren Augen erwachte etwas von jenem Leuchten, das Andrew aus früheren Tagen kannte und das er vermißt hatte, seitdem sie wieder hier war. »Ich bin endlich wieder zu Hause. Ich werde mich nie wieder heimatlos und fremd fühlen, ganz gleich, was geschieht.« Sie ging weiter. »Ich will mir auf jeden Fall eine Arbeit suchen, Andrew. Ich dachte, ich könnte mich an einer Sprachenschule bewerben, als Lehrerin für Deutschkurse. Und für Französisch, da bin ich auch recht gut. Für den Anfang wäre es kein schlechter Job, oder?«
    Sie blieb erneut stehen, sah Andrew erwartungsvoll an.
    Er wandte sich ihr zu. »Würdest du mich heiraten?« fragte er.
    »Was?«
    »Wenn du geschieden bist... du sagtest doch, du wolltest dich von deinem Mann scheiden lassen... würdest du mich dann heiraten?«
    Eine Gruppe lärmender, ausgelassener junger Leute kam auf sie zu, und sie traten an den Wegrand, um sie vorbeizulassen. Die gleiche Frage hätte an derselben Stelle an einem ebenso sonnigen

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