Die Suende der Engel
aber wenn er um das Gebüsch herum spähte, hatte er den direkten Blick auf das Haus. Kaum eine Bewegung dort dürfte ihm entgehen.
Er streckte sich im taufeuchten Gras aus. Die Nacht auf der Bank in Avignon steckte ihm noch in den Knochen. Nur einen Moment, einen kurzen Moment wollte er sich hinlegen... Er schlief fast von einem Augenblick zum anderen ein.
»Peter hat sicher im Handumdrehen heraus, wo die Beerbaums früher in München wohnten«, sagte Karen, »dann können wir uns in der Nachbarschaft umhören. Er hat mich gefragt, ob er weitere Nachforschungen anstellen soll, aber ich habe gesagt, das machen wir selber. Für irgend etwas müssen wir ja diese Reise unternommen haben, nicht?«
Sie saß mit Michael im Frühstücksraum des Hotels und hatte sich vom Buffet geholt, was sie nur ergattern konnte. Der ganze Tisch war zugestellt mit Tellern und Schüsseln. Sie schien entschlossen, jede einzelne Müslisorte, jedes Obst, jeden Quark, jedes Brot zu probieren, nicht eine Art von Käse, Wurst und Marmelade auszulassen. Michael, der sich eine Semmel, ein weiches Ei und zwei Scheiben Käse geholt hatte, rückte seinen Teller und seine Untertasse so eng er konnte zusammen.
Typisch, dachte er ärgerlich, sie ist und bleibt rücksichtslos.
Mit einer einladenden Geste wies Karen auf den Tisch. »Sie können sich von alldem natürlich auch bedienen, Michael. Sie wollen doch nicht nur auf diesem armseligen Brötchen herumkauen, oder?«
»Ich habe morgens nicht viel Hunger.«
»Ich normalerweise auch nicht. Aber so ein Buffet macht mich immer total verrückt!« Sie hatte ein glückliches Leuchten in den Augen, während sie ihre Schätze musterte und überlegte, womit sie anfangen sollte. Wie immer, wenn sie plötzlich wie ein begeistertes Kind wirkte, löste sich Michaels latente Gereiztheit ihr gegenüber in Luft auf. Sie hatte etwas, das ihn rührte. Sogar heute früh, obwohl sie schauderhaft aussah und ihn mit ihrer Raffgier am Buffet blamiert hatte. Das Getuschel und Grinsen der Gäste ringsum war ihm nicht entgangen. Ihr natürlich schon. Flüchtig fragte er sich, ob er ihre völlige Gleichgültigkeit gegenüber der Meinung anderer Leute bewundern oder verachten sollte.
Sie schob sich einen übervollen Löffel Quark mit Pfirsichen in den Mund und verdrehte die Augen. »Göttlich! Wollen Sie?« Sie tauchte den Löffel wieder ein und streckte ihn Michael entgegen.
Der wich zurück. »Danke. Jetzt nicht.«
Sie musterte ihn aufmerksam. Er sah müde aus, frustriert, von Sorgen geplagt. »Haben Sie noch mal versucht, Tina zu erreichen?« fragte sie.
»Gestern nacht noch. Und heute früh. Zu völlig unchristlichen Zeiten also. Was den Grad meiner Besorgnis anzeigt. Normalerweise würde ich mir eher die Zunge abbei-βen, als jemanden aus dem Schlaf zu klingeln.« Er seufzte und wartete auf eine spöttische Bemerkung, aber zu seiner Überraschung nutzte Karen die Gelegenheit nicht.
»Ja«, sagte sie, »für Ihre Verhältnisse tun Sie schon recht seltsame Dinge. Allein, daß Sie hier mit mir in München sind... Äußerst ungewöhnlich für Sie, nicht?«
»Ja. Ich fühle mich auch nicht besonders wohl.«
Über den Tisch hinweg berührte sie kurz seinen Arm. »Hey, Herr Staatsanwalt! Wir tun nichts Unrechtes!«
»Wir schnüffeln. Wir spionieren. Wir stecken unsere Nasen in die Angelegenheiten anderer Leute. Sie sind Journalistin und haben sicher eine andere Mentalität. Aber mir widerstrebt das zutiefst.«
»Sie haben aber Angst um Ihre Tochter. Und Ihnen ist dieser Mario suspekt.«
Michael schob seinen Teller zurück, um den Millimeter, der noch frei war. Er hatte keinen Appetit mehr. »Karen, ich weiß es nicht«, sagte er müde, »vielleicht habe ich mir etwas eingeredet. Und einreden lassen. Ich... ich war zu lange mit Tina allein. Daß ich hier sitze und Detektiv spiele, ist das Ergebnis meiner Eifersucht und ununterbrochenen Wachsamkeit meiner Tochter gegenüber. Ich komme mir lächerlich vor.«
»Und warum geht niemand ans Telefon?«
»Vielleicht weiß Tina, daß ich der Anrufer bin, und das nervt sie.«
Mit energischem Schwung köpfte Karen ein Ei und kippte eine Unmenge Salz hinein. »Ich werde nachher allein losgehen, um die Nachbarn zu befragen«, sagte sie. »Sie stehen das nicht durch und verschrecken uns die Leute noch. Sie bleiben hier. Warum gehen Sie nicht in die Hotelbar? Vielleicht lernen Sie was Nettes kennen?«
Er warf ihr einen Blick zu, der sie verlegen die Augen senken
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