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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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ließ.
    »Sorry«, sagte sie nur.

    Sie holte ihn ein, als er gerade die Autotür aufschloß. Er sah sie erstaunt an. »Wir hatten doch ausgemacht, daß du hierbleibst«, sagte er.
    Janet schüttelte den Kopf. Ihre Haare waren noch naß vom Duschen. In diesem Zustand und im Licht des Morgens sahen sie aus wie frisch poliertes Silber. »Du hast beschlossen, daß ich hierbleibe.«
    »Du hattest zugestimmt.«
    »Ich hab’s mir anders überlegt.«
    Andrew musterte sie von Kopf bis Fuß und lächelte. »Alle Achtung«, sagte er, »du kannst ja schnell sein wie der Teufel!«
    Als er sich drei Minuten zuvor von ihr oben an der Wohnungstür verabschiedet hatte, war sie noch im Bademantel gewesen. Jetzt trug sie Jeans und ein ungebügeltes weißes T-Shirt, das sie oberflächlich in die Hose gestopft hatte; hinten hing es noch heraus. Über ihren Schultern lag ein grauer Wollpullover, dessen Ärmel sie über der Brust verknotet hatte. Ihre nackten Füße steckten in schwarzen Abendsandalen mit Goldschnalle, offenbar das erstbeste Paar, da ihr in der Eile in die Hände gefallen war. Ihr ungeschminktes Gesicht wirkte unter dem nassen Haar sehr jung. Statt einer Handtasche hatte sie sich einen Lippenstift, Wimperntusche und einen Eyeliner geschnappt und hielt diese Gegenstände Andrew mit einer triumphierenden Geste in der offenen Hand entgegen. »Den Rest mach’ ich im Auto! Ich hab’ alles dabei!«
    Er kapitulierte. Er hatte sie unter keinen Umständen dabeihaben wollen, wenn er nun während der folgenden Stunden eine bittere und schmerzliche Niederlage würde einstecken müssen. Doch nun dachte er, daß sie so oder so wußte, wie ihm zumute war, und daß er seinen albernen Stolz aufgeben konnte. Er hatte sie am Tag zuvor in Cambridge gefragt, ob sie seine Frau werden wollte, was bedeutete,
er hatte sie gebeten, Teil seines Lebens zu werden. Auf die Dauer konnte und wollte er diesen Aspekt seines Lebens - seinen brennenden Ehrgeiz, seine tiefe, schmerzende Verletztheit, wenn ihm etwas miβlang - vor ihr nicht verbergen.
    Als ahnte sie, was er dachte, sagte sie: »Ich will dich ganz kennen, Andrew. Nicht nur die angenehmen und unkomplizierten Seiten.«
    Er kam um das Auto herum, schloß die Beifahrertür auf und öffnete sie. Sie würden ein lustiges Paar abgeben im Gerichtssaal: er im dunklen Anzug und Krawatte, sie in ihrem zerknitterten Aufzug mit den völlig unpassenden Sandalen an den Füßen. Der Gedanke ließ ihn lächeln und entspannte seine Züge.
    »Ich hoffe«, sagte er, »die Begegnung mit meinen Schattenseiten wird dich nicht zu sehr erschrecken.«
    Sie lachte und küßte ihn, und sie hielt es in diesem Augenblick für völlig ausgeschlossen, daß irgend etwas an ihm sie jemals ernsthaft würde erschrecken können.
    Die Rosmarinhecke hatte viele Stunden lang Schatten gespendet, aber nun war die Sonne weiter gewandert und stand an ihrem höchsten Punkt, sandte ihre Strahlen senkrecht zur Erde. Maximilian erwachte davon, daß ihm unangenehm heiß wurde. Er rieb sich die Augen, setzte sich auf und blickte dann auf seine Uhr. Es war fast halb eins am Mittag. Wie hatte er nur so lange schlafen können?
    Voller Ärger auf sich selbst kroch er an den Rand des Gebüschs und sah zum Haus hinüber. Es lag in derselben Ruhe - und Verlassenheit? - wie am frühen Morgen. Nichts auf der Terrasse hatte sich geändert, nirgendwo war ein Fenster geöffnet worden. Und noch immer stand kein Auto in der Einfahrt.
    Er stand auf und verzog das Gesicht, denn seine Knochen
schmerzten nach dem langen Liegen auf dem harten Boden. Entschlossen durchquerte er den Garten, für jeden sichtbar, der jetzt aus einem der Fenster geblickt hätte. Aber er war jetzt sicher, daß sich niemand im Haus aufhielt, daß auch während der Stunden, die er unverzeihlicherweise in tiefem Schlummer verbracht hatte, niemand gekommen und gegangen war. Das Haus war leer, und das schon die ganze Nacht, und vielleicht auch länger. Aber sein Bruder und das Mädchen hatten nicht einfach ihr Reiseziel geändert, sie waren hier gewesen. Und wohin immer sie gegangen waren, sie hatten vorgehabt, zurückzukehren. Mario hätte niemals die Kissen und das T-Shirt draußen liegen lassen. Anderen Leuten hätte das möglicherweise nicht gereicht als Beweis für die Absicht, wiederzukommen, aber Maximilian, der seinen Zwilling kannte wie niemand sonst, zweifelte keinen Moment an der Richtigkeit seiner Schlußfolgerung. Sie hatten zurückkehren wollen. Warum taten sie es

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