Die Suende der Engel
nicht?
Die Terrassentür öffnete sich, als er zaghaft dagegendrückte. Man hatte sie zwar geschlossen, innen aber den Griff, der sie verriegelt hätte, nicht zur Seite gedreht. Eine Unachtsamkeit vermutlich, die sich aber in diesem Dorf kaum als verhängnisvoll erweisen konnte. Soviel Maximilian wußte, war hier noch nirgendwo eingebrochen worden oder etwas gestohlen worden.
Er ging durch das Wohnzimmer, spähte in die Küche. Sie war einigermaßen aufgeräumt, aber das gespülte Geschirr stand noch im Abtropfgitter und nicht in den Schränken. Auf dem Tisch lagen ein paar französische Geldscheine und ein Umtauschformular der Bank. Auf der kleinen, schattigen Veranda, hier an der Rückseite des Hauses, standen ebenfalls Liegestühle; auf einem von ihnen lag ein Buch.
Maximilian verließ die Küche und stieg langsam die
knarrende Treppe zum ersten Stock hinauf. Im Bad entdeckte er sofort eine Reihe weiblicher Utensilien, eine weiche Haarbürste, ein Täschchen mit Schminkstiften, eine Hautcreme, eine Reinigungsmilch. Dinge, die eine Frau kaum zurückließ, wenn sie vorhatte, über Nacht wegzubleiben. Auch die Zahnbürsten standen in ihren Gläsern. Maximilian runzelte die Stirn.
Er inspizierte Marios Zimmer, betrachtete Janets Photographie auf dem Nachttisch. In den Schränken herrschte penible Ordnung. Pullover und T-Shirts waren sorgfältig gefaltet und gestapelt, die Hosen akkurat über den Bügel gehängt. Das Bett sah aus, als habe nie jemand darin geschlafen.
Maximilian schaute in die übrigen Zimmer des ersten Stocks, konnte aber keinen Hinweis auf das Mädchen finden und begab sich schließlich ins Dachgeschoß. Mario hatte die wandelnde Versuchung also soweit wie möglich von sich entfernt einquartiert. Maximilian kam sich ziemlich indiskret vor, während er in Schränke und Schubladen schaute. Die junge Dame hatte alles recht chaotisch durcheinander geworfen. Unter dem Tisch stand ihr Koffer. Auf dem am Tragegriff befestigten Adreßschild fand Maximilian ihren Namen: Christina Weiss.
Jedenfalls sah es auch bei ihr keineswegs nach Abreise aus.
Zutiefst beunruhigt stieg er wieder die Treppe hinab. Als er an der geöffneten Tür des Arbeitszimmers vorbeikam, stutzte er. Es war ihm vorhin nicht aufgefallen, aber komischerweise sprang es ihm jetzt sofort ins Auge: Das Telefon stand nicht an seinem Platz. Es stand überhaupt nirgendwo im Raum. Irgend jemand hatte es ausgestöpselt und... ja, vielleicht versteckt, vielleicht zerstört, in jedem Fall die Verbindung dieses Hauses zur Außenwelt unterbrochen.
Maximilian setzte sich auf die oberste Treppenstufe. Seine Besorgnis wuchs, die Unruhe in ihm zerriß ihn jetzt fast. Er stützte den Kopf in die Hände und dachte nach. Er mußte herausfinden, wohin Mario mit dieser Christina gegangen war, und er ahnte, daß ihm wenig Zeit dafür blieb.
Das Problem mit dem alten Mann war, daß er zuviel redete. Es fiel ihm schwer, auf den Punkt zu kommen. Er hätte Karen liebend gern seine ganze Lebensgeschichte erzählt - »ich habe beide Kriege miterlebt, stellen Sie sich vor!« -, und sie mußte ihn immer wieder behutsam auf den eigentlichen Zweck ihres Besuches lenken.
»Sie wollten mir doch von den Beerbaums berichten...«
Sie hatte das Haus der Beerbaums, eine behäbige Villa im Stadtteil Nymphenburg, um deren Mauern sich Efeu rankte, schnell gefunden, aber als sie dort klingelte, öffnete nur ein kleines Mädchen und teilte ihr mit, die Eltern seien nicht da und es dürfe die Tür nicht aufmachen. Im Nachbarhaus auf der linken Seite störte sie eine junge Frau mit wirren Haaren und gerötetem Gesicht ganz offensichtlich gerade beim Putzen, denn sie hielt einen Staubwedel in der Hand und war schlechter Laune.
»Ich hab’ keine Zeit, ich kaufe nichts, Wiedersehen!« Damit flog die Tür ins Schloß, noch ehe sich Karen überhaupt hatte vorstellen können.
Im Nachbarhaus rechter Hand hatte sie Glück. Der uralte Mann, der auf ihr Klingeln hin erschien, hatte das hoffnungsvolle Glänzen in den Augen, das ein überraschender Besucher bei einsamen Menschen hervorruft. Sie erkannte auf den ersten Blick, wie allein er war, wie endlos und eintönig seine Tage dahinplätscherten. Wenn er etwas über die Beerbaums wußte, würde er es bereitwillig
erzählen, langsam, detalliert, bemüht, den Moment, da Karen wieder gehen würde, soweit wie möglich vor sich herzuschieben. Er würde sie einige Nerven kosten, aber er würde reden.
Sie nannte ihm ihren Namen
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