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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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auf, begann wieder hin und her zu gehen, ganz
verzweifelt.
    »Doch, doch, ich hätte es ahnen müssen, es ist nur zu logisch.
Und im Zusammenhang mit dir mußte es erst recht schlimm werden. Du
bist kein Mann wie andere Männer … Hör' mich an, ich kann dir
die Versicherung geben, daß du verloren warst. Einzig die Luft, mit
der sie dich umgab, konnte dich vor dem Wahnsinn retten. Du
verstehst mich, ich brauche dir doch nicht erst zu sagen, wie es
mit dir stand. Es ist eine meiner schönsten Heilungen. Geh, ich
bilde mir nichts auf sie ein! Denn jetzt geht das arme Mädchen an
ihr zugrunde!«
    Der Abbé Mouret war stehengeblieben, sehr ruhig – umstrahlt von
stillem Martyrium, dem nichts Menschliches mehr etwas anhaben
kann.
    »Gott wird ihr gnädig sein,« sagte er.
    »Gott! Gott!« murmelte der Doktor dumpf, »er täte besser daran,
sich nicht in unsere Angelegenheiten zu mischen. Dann könnte man
die Sache ordnen.«
    Dann begann er mit erhobener Stimme wieder: »Alles hatte ich berechnet. Das ist das Ärgste! Oh,
ich Dummkopf! … Einen Monat solltest du dich dort erholen. Die
schattigen Bäume, die Frische dieses Kindes, all dieses Leben
sollte dich wieder auf den Damm bringen. Auf der anderen Seite
verlor sich dabei die Ungezügeltheit des Kindes, du
vermenschlichtest sie etwas; zu zweit hätten wir eine kleine Dame
aus ihr gemacht, die wir dann irgendwo verheiratet hätten. Es
schien alles so gut; konnte ich denn ahnen, daß der alte Philosoph
Jeanbernat nicht einen Zoll von seinem Salat abrücken würde! Es ist
wahr, auch ich habe mich nicht aus meinem Laboratorium gerührt; es
waren gerade allerlei wichtige Versuche im Gang, ich trage die
Schuld! Ein Schurke bin ich!«
    Die Luft ging ihm aus, er wollte fort. Überall suchte er nach
seinem Hut, der ihm auf dem Kopf saß.
    »Leb' wohl,« sagte er, »ich gehe … Du weigerst dich also
mitzukommen? Sieh, tu es mir zu Gefallen; du siehst doch, wie ich
mich quäle. Ich verspreche dir, daß sie gleich darauf fortreist.
Versteht sich … mein Wagen ist draußen. In einer Stunde bist
du zurück … Komm, ich bitte dich darum!«
    Der Priester machte eine weite Armbewegung, eine Bewegung, die
der Doktor ihn am Altar hatte machen sehen.
    »Nein, ich darf nicht.«
    Und seinen Onkel hinausbegleitend, fügte er hinzu:
    »Sagen Sie ihr, auf den Knien soll sie Gott anflehen. Gott wird
sie erhören, wie er mich erhört hat; er wird ihr den Frieden geben,
wie er mir den Frieden gab. Eine andere Rettung gibt es nicht.«
    Der Doktor sah ihm ins Gesicht und zuckte
die Achseln mit einem Ausdruck des Schreckens.
    »Leb' wohl,« sagte er. »Es geht dir jetzt gut. Du hast mich
nicht mehr nötig.«
    Als er sein Pferd losband, kam Desiderata angelaufen, die seine
Stimme gehört hatte. Sie liebte den Onkel schwärmerisch. Als sie
noch kleiner war, konnte er ihrem kindlichen Geschwätz stundenlang
zuhören. Auch jetzt noch verwöhnte er sie, bekundete Interesse für
ihre Liebhabereien und verbrachte gerne einen Nachmittag mit ihr
bei Hühnern und Enten; in seine scharfen Gelehrtenaugen kam dann
ein Lächeln. Er nannte sie »großes Tier« im Tone liebkosender
Bewunderung. Er schien sie hoch über andere Mädchen zu stellen. Sie
warf sich ihm an den Hals in einem Zärtlichkeitsausbruch und
rief:
    »Bleib da. Iß bei uns!«
    Er küßte sie, verneinte und machte sich mürrisch aus ihrer
Umarmung los. Sie lachte hellauf und hängte sich noch einmal an
ihn.
    »Das ist sehr dumm von dir,« redete sie weiter. »Es gibt ganz
frische Eier, ich habe die Hennen belauert. Vierzehn haben sie
heute morgen gelegt … Und das weiße Hühnchen hätten wir
gegessen, das den anderen zuleibe ging. Donnerstag warst du gerade
da, als es dem großen Gesprenkelten ein Auge ausstieß.«
    Der Onkel blieb in verärgerter Stimmung. Er erboste sich über
den Zügelknoten, den er nicht auseinander bekam. Da begann sie ihn
zu umspringen, klatschte in die Hände und sang in hohen Tönen:
    »Ja, ja … Du bleibst. Wir essen es, wir essen es!«
    Der Zorn des Onkels vermochte nicht länger
standzuhalten. Er hob den Kopf mit einem
Lächeln. Sie war zu gesund, zu lebendig, zu wirklich. Ihre
Heiterkeit war übermächtig, natürlich und wahr wie der
Sonnenstrahl, der ihre nackte Haut golden bräunte.
    »Großes Tier,« murmelte er entzückt. Er nahm sie bei den
Handgelenken, sie hörte nicht auf zu springen. »Heute nicht, hörst
du, ich muß zu einem armen kranken Mädchen. Aber gerne ein anderes
Mal, ich

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