Die Sünde des Abbé Mouret
dem Bruder die Hände haltend, einer Tücke
gewärtig. Dann entfernte er sich, ohne den Kopf zu wenden, verfiel
in seinen langen harten Gang.
Der Bruder kroch schweigend zu dem Steinhaufen. Er wartete, bis
der Alte in einiger Entfernung war. Dann fing er mit beiden Händen wieder an zu werfen. Aber
die Steine kollerten in den Straßenstaub; Jeanbernat geruhte nicht,
sich zu ärgern, sondern ging straff in die stille Nacht hinein.
»Der Vermaledeite! Der Teufel gibt ihm Kräfte!« stieß Bruder
Archangias hervor und ließ einen letzten Stein durch die Luft
pfeifen. »So ein Greis, den ein Nasenstüber umwerfen müßte! Er ist
im höllischen Feuer gebacken. Ich habe seine Krallen gespürt.«
In wütendem Unvermögen trat er auf den Steinen herum. Plötzlich
wandte er sich nach dem Abbé Mouret.
»Es ist Ihre Schuld,« schrie er. »Sie hätten mir helfen sollen.
Zu zweit hätten wir ihn schon erdrosselt.«
Am anderen Ende des Dorfes wuchs der Lärm im Haus des alten
Bambousse. Deutlich hörte man, wie die Gläser im Takt auf den Tisch
gestoßen wurden. Der Priester war weitergegangen, ohne aufzusehen,
und steuerte auf die große Helle zu, die aus den Fenstern fiel wie
das Aufflammen eines Rebholzfeuers. Düster folgte ihm der Bruder
mit staubbedeckter Sutane, blutender, von einem Stein gestreifter
Wange. Dann nach einem Schweigen mit harter Stimme:
»Werden Sie hingehen?« fragte er.
Als der Abbé Mouret keine Antwort gab, fuhr er fort:
»Nehmen Sie sich in acht, Sie werden in die Sünde
zurückfallen … Das Kommen dieses Mannes hat genügt, Sie
erbeben zu machen. Ich habe Sie im Mondschein beobachtet, Sie waren
blaß wie ein Weib … Nehmen Sie sich in acht, sage ich. Diesmal
verzeiht Gott nicht. Sie werden wieder den gleichen
Abscheulichkeiten verfallen… Ah, elender Erddreck, der zu Dreck
verlangt.«
Da hob der Priester endlich das Antlitz.
Schweigend vergoß er heiße Tränen. Mit herzzerreißender Sanftmut
sagte er:
»Warum sprechen Sie so zu mir? … Sie sind ständig neben
mir, kennen die Kämpfe jeder meiner Stunden. Zweifeln Sie nicht an
mir, nehmen Sie mir nicht die Kraft, mich zu überwinden.«
Diese einfachen, von stillen Tränen berieselten Worte erklangen
in der Nacht so voll schmerzlich höchstem Leiden, daß selbst Bruder
Archangias, trotz seiner Roheit, sich bewegt fühlte. Er sagte
nichts mehr und schüttelte seine Sutane aus, wischte die blutende
Wange ab. Als sie vor dem Haus der Familie Bambousse angelangt
waren, lehnte er es ab, einzutreten. Einige Schritte weiter ließ er
sich auf einem alten umgestürzten Karren nieder, wo er mit
Doggengeduld wachte.
»Da ist der Herr Pfarrer,« riefen alle Bambousse und alle
Brichet, die am Tisch saßen.
Man füllte die Gläser von neuem. Der Abbé Mouret mußte auch ein
Glas annehmen. Eine richtige Hochzeitsfeier hatte es nicht gegeben.
Am Abend nur nach dem Essen hatte man ein großes
Fünfzig-Liter-Behältnis auf den Tisch gestellt, das man vor dem
Schlafengehen zu leeren gedachte. Zu zehn waren sie, und schon
konnte Vater Bambousse mit einer Hand den Behälter kippen, aus dem
nur noch ein dünner roter Strahl rann. Rosalie, voller Heiterkeit,
steckte das Kinn des Kleinen in das Glas, währenddem der lange
Fortunat Kunststücke machte und Stühle mit den Zähnen emporhob. Die
ganze Gesellschaft begab sich ins Schlafzimmer. Die Sitte wollte,
daß der Pfarrer hier den Wein austrank, den man ihmeingegossen hatte. Dies nannte man das Zimmer segnen.
Es sollte Glück bringen und verhindern, daß das Paar sich prügelte.
Zur Zeit des Herrn Caffin gingen die Dinge vergnüglich vor sich,
der alte Pfarrer lachte gern; er war sogar berühmt für die Art, wie
er das Glas leerte, ohne einen Tropfen am Grund übrigzulassen; um
so mehr, als die Frauen im Artaud vorgaben, daß jeder Tropfen, der
zurückbliebe, ein Jahr Liebesfreuden weniger bedeute für die
Eheleute. In Gegenwart des Abbés Mouret scherzte man weniger laut.
Er leerte das Glas auf einen Zug, was Vater Bambousse sehr zu
schmeicheln schien. Die alte Brichet sah auf den Boden des Glases
und verzog den Mund. Vor dem Bett erging sich ein Onkel, der
Feldhüter war, in sehr deutlichen Späßen, belacht von der Rosalie,
die der lange Fortunat schon bäuchlings über das Bett geworfen
hatte, liebkosenderweise. Und nachdem alle irgendeine
Zweideutigkeit von sich gegeben hatten, ging man zurück in das
große Zimmer.
Vinzenz und Katharina waren allein dort zurückgeblieben. Vinzenz
war auf einen
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