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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Maul. In sanfter Gier
blickten ihre großen braunen Augen.
    »Jetzt du,« fuhr Desiderata fort, sich der Ziege zuwendend. »Oh,
ich weiß, du willst Mohn. Und am liebsten magst du blühenden, nicht
wahr? Mit Knospen, die beim Zubeißen knisternd aufspringen wie
rotes Papier. Guck', ist er nicht schön? Er kommt aus der linken
Ecke, wo letztes Jahr begraben wurde.«
    Und beim Sprechen hielt sie der Ziege einen Strauß blutroter
Blumen vor, die das Tier abfraß. Als sie nichts mehr in den Händen
hielt als Stiele, steckte sie die ihr zwischen die Zähne. Hinter
ihr hackten die wütenden Hühner sie in die Röcke. Sie warf ihnen
wilde Zichorien und Löwenzahn hin, an den alten Steinplatten
gepflückt, die sich die Kirchenmauer entlang zogen. Zumal um den
Löwenzahn stritten sich die Hühner mit einer solchen Gier, einem
solchen Geflatter und Gescharr, daß die anderen Tiere im Hof
aufmerkten. Da gab es kein Halten mehr. Der große fahlrote Hahn
erschien als erster. Er pickte einen Löwenzahnstengel auf, zerlegte
ihn, ohne ihn anzutasten. Lockend rief er die außerhalb gebliebenen
Hennen und schritt zurück, um sie zum Mahl aufzufordern. Ein weißes
Huhn kam, ein schwarzes folgte, dann eine ganze Schar, die sich
schoben, eine der andern auf den Schwanz traten und schließlich
eindrangen wie ein Bächlein bunter Federn. Nach denHühnern kamen die Tauben, Enten, Gänse, zuletzt die
Truthühner. Desiderata lachte über diese lebensvolle Flut; sie
sagte immer wieder:
    »Allemal, wenn ich Kräuter vom Kirchhof bringe, ist das so. Für
ihr Leben gern essen sie davon. Dies Gras muß einen wonnigen
Geschmack haben!«
    Sie wehrte sich, hielt die letzten Kräuterbüschel in die Höhe,
um sie vor den genäschigen Schnäbeln zu retten, die sich ihr
entgegenstreckten, wiederholte immer, für die Kaninchen müßte auch
etwas übrigbleiben, sie würde gleich böse werden und ihnen nichts
mehr als trockenes Brot verabfolgen, und begann doch schwach zu
werden. Die Gänse zogen sie so heftig an den Schürzenenden, daß sie
beinahe auf die Knie fiel. Die Enten bissen ihr in die Waden. Zwei
Tauben setzten sich ihr auf den Kopf. Bis zu den Hüften stak sie in
Hühnern. Ein wildes Getriebe war es von Tieren, die Fleisch rochen,
fetten Wegerich, blutfarbenen Mohn, strotzenden Löwenzahn, in denen
etwas von den Lebenssäften der Toten kreiste. Sie kam zu sehr ins
Lachen, fühlte, daß sie nachgiebig wurde und bereit, die beiden
letzten Bündel daranzugeben, als ein erschreckliches Grunzen alles
umher in die Flucht trieb.
    »Du bist es, mein Dickerchen,« sagte sie entzückt. »Friß sie,
befreie mich.« Das Schwein kam herein; es war nicht mehr das kleine
Schwein, rosa, wie frischgestrichenes Spielzeug, hinten versehen
mit kleinem geringelten Kordelschwänzchen, sondern ein stämmiges
Schwein, reif zum Schlachten, dickwanstig, mit rauhen,
fetttriefenden Borsten auf dem Rückgrat. Sein Bauch quoll ihm
bernsteingelb vom Liegen im Mist. Mit vorgestrecktem Rüssel kam es
angetrollt und warf sich mitten zwischen die Tiere, was Desiderata ermöglichte, sich aus dem Staub zu machen
und den Kaninchen den tapfer verteidigten Restbestand der Kräuter
zu geben. Als sie zurückkam, herrschte Friede. Die Gänse bogen
nachlässig die Hälse in freundlicher Beschränktheit; die Truthühner
und Enten watschelten an der Mauer entlang mit dem vorsichtigen
Gewackel schwachbeiniger Tiere; die Hennen gackerten leise und
pickten vom harten Stallboden unsichtbare Körner, während Schwein,
Ziege und die große Kuh schläfrig zwinkerten. Draußen fielen die
ersten Tropfen eines Gewitterregens.
    »Da hätten wir einen Guß,« sagte Desiderata, setzte sich nieder
ins Stroh und schüttelte sich. »Ihr tätet gut daran, meine Lieben,
hierzubleiben, wenn ihr euch nicht einweichen lassen wollt.«
    Zu Albine gewandt, fügte sie bei:
    »Wie blödsinnig sie jetzt aussehen! Sie wachen nur auf, wenn es
etwas zu fressen gibt, diese Geschöpfe.«
    Albine hatte sich still verhalten. Sie war noch tiefer erblaßt
beim Gelächter dieses schönen Mädchens inmitten gefräßig sich
reckender Hälse, geneigter Schnäbel, die sie kitzelten und
liebkosten und von ihrem Fleisch fressen zu wollen schienen. So
viel Fröhlichkeit, Gesundheit und Leben brachte sie zur
Verzweiflung. Fiebrig preßte sie ihre Arme, preßte die Leere an
sich in einem Gefühl öder Verlassenheit.
    »Und Sergius?« fragte sie, immer gleich deutlich und
eigensinnig.
    »Pst,« machte Desiderata, »eben hab' ich ihn

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