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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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zweit können wir uns
gegenseitig helfen … Nicht wahr, du kennst den Weg? Wir gehen
über den Kirchhof, steigen herunter bis zum Ufer des Flusses, dem
wir nur nachzugehen brauchen bis zum Garten. Und ungestört ist man
dort unten, ganz allein. Nichts als Gestrüpp und glatte runde
Kiesel gibt es da. Das Flußbett ist fast vollständig ausgetrocknet.
Auf dem Hinweg dachte ich: nachher wird er bei mir sein; wir werden
langsamer gehen und uns küssen … Steh auf! Spute dich! Laß
mich nicht warten, Sergius!«
    Der Priester schien nichts mehr zu vernehmen. Er hatte zum Gebet
zurückgefunden und erbat sich vom Himmel frommen Mut. Bevor er sich
in den letzten Kampf stürzte, bewaffnete er sich mit dem
Flammenschwert des Glaubens. Einen Augenblick fürchtete er schwach
zu werden. Märtyrerentschlossenheit hatte er gebraucht, um sich
nicht zu erheben von den Steinen, während jedes Wort Albines ihn
rief. Sein Herz ersehnte sie, sein ganzes Blut geriet in Wallung
und trieb ihn in ihre Arme, mit dem
unwiderstehlichen Wunsch, ihr Haar zu küssen. Ihr Hauch allein
hatte in einer Sekunde die Erinnerung vorüberziehen lassen ihrer
Zärtlichkeiten, den großen Garten, Spaziergänge unter Bäumen, die
Freudigkeit ihrer Vereinigung. Aber reich betaute ihn die Gnade;
nur eine kleine Weile sog die Qual aus seinen Adern das Blut;
nichts Menschliches hatte noch Macht über ihn. Nichts mehr war er
als Gottes Eigentum.
    Albine mußte ihn nochmals an der Schulter berühren. Unruhe
befiel sie, und sie begann unwillig zu werden.
    »Warum gibst du mir keine Antwort? Du kannst nicht nein sagen,
du mußt mit mir gehen … Bedenke, daß ich sterben müßte, wenn
du mir nicht folgst. Aber das ist ja nicht möglich. Erinnere dich.
Wir waren zusammen, wollten nie auseinander gehen. Und zwanzigmal
hast du dich verschenkt. Du sagtest, ich sollte ganz dich
hinnehmen, deine Glieder, deinen Atem, dein Leben … Ich habe
das doch nicht geträumt. Keine Stelle gibt es auf deinem Körper,
die du mir nicht geschenkt hattest, kein Haar auf deinem Haupt, das
ich nicht besaß. Du hast ein Mal auf der linken Schulter, ich habe
es geküßt, es gehört mir. Deine Hände sind mein, tagelang habe ich
sie in meinen Händen gehalten. Und dein Gesicht, deine Augen, deine
Lippen, deine Stirne, alles gehörte mir; ich habe darüber verfügt
für meine Zärtlichkeit … Hörst du mich, Sergius?«
    Herrisch reckte sie sich vor ihm auf, mit ausgestreckten Armen.
Lauter wiederholte sie:
    »Hörst du mich, Sergius? Du gehörst mir!«
    Da stand der Abbé Mouret langsam auf, lehnte sich an den Altar
und sagte:
    »Nein, Sie irren. Ich gehöre Gott.«
    Er war vollkommen gefaßt. Sein glattes Gesicht glich dem Antlitz
eines steinernen Heiligen, dessen Frieden keinerlei Hitze des
Leibes stört. Geradfaltig fiel seine Sutane nieder, wie schwarzes
Totenhemd, ohne das Geringste erraten zu lassen von seiner
Körperlichkeit. Albine schrak zurück beim Anblick des düsteren
Gespenstes ihrer Liebe. Wo denn war sein freies Haar, sein Bart?
Jetzt gewahrte sie inmitten der verschnittenen Haare das fahle Mal
der Tonsur, es schreckte sie wie fremdartige Krankheit, eine
häßliche Wunde, aufgebrochen, um die Erinnerung aufzuzehren an die
glückliche Zeit. Seine sonst liebesheißen Hände erkannte sie nicht
mehr, auch den froh durchklungenen, beweglichen Hals nicht, auch
nicht die gewandten Füße, deren Lauf in grüne Tiefen ging. War dies
denn der kräftige Bursche, dessen offener Hemdkragen den Flaum auf
der Brust sehen ließ, mit sonnenblühender Haut, lebendurchzitterten
Gliedern, in dessen Umarmung sie schöne Zeiten durchlebte? Jetzt
schien er allen Fleisches bar, schändlich bar aller Behaarung,
seine Männlichkeit verdorrte unter dem Weiberkleid, das ihn
geschlechtslos erscheinen ließ.
    »Oh,« murmelte sie, »ich habe Angst vor dir … Hast du
geglaubt, ich sei tot, daß du Trauer trägst? Wirf das schwarze Ding
weg und zieh ein Hemd an. Dann kannst du die Ärmel aufstreifen, und
wir können wie ehemals Krebse fangen … Deine Arme waren ebenso
hell als die meinen.«
    Sie hatte die Hand nach der Sutane ausgestreckt, wie um den
Stoff abzureißen. Er wies sie zurück. Ohne sie zu berühren, wies er
sie zurück. Er betrachtete sie, festigte sich gegen die Versuchung, ließ sie nicht aus den
Augen. Sie schien ihm gewachsen. Das Mädchen mit den Sträußen
wilder Blumen, das zigeunerhaft in den Wind lachte, war sie nicht
mehr, auch nicht die weißgekleidete Verliebte, die

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