Die Sünde des Abbé Mouret
Beetes an hoher Rosenhecke entlang. Ich entsinne mich der
Färbung des Grases; fast blau sah es aus, hellgrün bestreift. Als
wir ans Ende der Hecke kamen, gingen wir den gleichen Weg nochmals
zurück, so süß duftete es in der Sonne. Und das blieb an diesem
Morgen unser ganzer Spaziergang: zwanzig Schritte vor, zwanzig
zurück. Ein Winkel Glückseligkeit, von dem du dich nicht trennen
konntest. Die Honighummeln summten, eine Meise flog uns nach, sie
hüpftevon Ast zu Ast; Scharen von Tieren regten
sich geschäftig. Du sagtest leise: ›Wie gut, wie schön ist das
Leben!‹ Das Leben waren Gräser, Bäume und Gewässer, der Himmel und
die Sonne, in der wir ganz weiß aussahen und goldhaarig.«
Sie träumte eine Weile vor sich hin und begann wieder:
»Leben! Das Paradeis war's. Wie es uns groß vorkam! Nie kamen
wir ans Ende. Die Blätter wogten bis zum Horizont, frei rauschend
wie Wellen. Und welche Bläue über uns! Wir konnten uns recken,
auffliegen, mit den Wolken ziehen, unbehindert gleich ihnen. Die
Luft gehörte uns … «
Sie hielt inne und deutete nach den niedrigen Gewölben der
Kirche.
»Und hier bist du in einer Grube. Du kannst die Arme nicht
ausbreiten, ohne dir die Hände an den Steinen zu zerschinden. Das
Gewölbe verdeckt dir den Himmel, nimmt dir deinen Sonnenanteil. So
eng ist es hier, daß die Glieder sich dir steifen, als lägest du
lebend im Grab.«
»Nein,« sagte der Priester, »die Kirche ist weit wie die Welt.
Gott kann sie ganz erfüllen.«
Müde hob sie die Hand und zeigte auf die Kreuze, die sterbenden
Heilande und Martern der Passion.
»Umgeben von Todesdingen lebst du. Gräser, Bäume, Wasser, Sonne
und Himmel liegen im Sterben in allem, was dich umgibt.«
»Nein, alles lebt wieder auf, läutert sich, steigt empor zur
Quelle allen Lichtes.«
Er hatte sich flammenden Auges aufgerichtet, trat fort vom
Altar, jetzt war er unbezwinglich, von solchem Glaubensfeuerdurchglüht, daß er der Gefahren nicht mehr achthatte.
Er nahm Albine bei der Hand, sagte brüderlich du zu ihr und führte
sie vor die leidensvollen Bilder des Kreuzweges.
»Sieh hier,« sagte er, »was mein Gott erlitt … Jesus wird
mit Ruten geschlagen. Du siehst, seine Schultern sind nackt, sein
Fleisch ist zerrissen, das Blut rinnt ihm über die Lenden …
Jesus wird mit Dornen gekrönt! Rote Tränen rinnen von seiner
durchbohrten Stirne. Ein großer Riß klafft ihm an der Schläfe…
Jesus wird von den Soldaten verspottet. Seine Henker haben ihm voll
Hohn einen Purpurfetzen übergeworfen, sie bespeien sein Antlitz und
geben ihm Backenstreiche, mit Binsenruten schlagen sie ihn und
treiben ihm die Dornenkrone tiefer in die Stirne.«
Albine drehte den Kopf zur Seite, um die rohausgemalten
Schilderungen nicht sehen zu müssen, auf denen karminrote Striemen
das ockrige Fleisch Jesu zerschnitten. Der Purpurmantel an seinem
Hals erschien wie ein Fetzen seiner geschundenen Haut.
»Wozu leiden, wozu sterben?« sagte sie als Antwort. »Oh,
Sergius! Weißt du denn nicht mehr? … An jenem Tag sagtest du
mir, du seiest müde. Ich wußte ganz gut, daß du die Unwahrheit
sagtest, weil ein frischer Wind wehte und wir nicht mehr als eine
Viertelstunde unterwegs waren. Du wolltest aber ruhen, um mich in
deine Arme nehmen zu können. Du weißt, ganz hinten im Obstgarten
steht ein Kirschbaum am Bachufer, an dem du nicht vorübergehen
konntest, ohne Lust zu bekommen, mir die Hände zu küssen, mit
Küssen, die bis zu den Schultern emporglitten, und von da bis zu
den Lippen. Die Kirschenzeitwar vorüber, da
entschädigtest du dich an meinen Lippen … Wir weinten über die
welkenden Blumen. Als du eines Tages im Gras einen toten Vogel
fandest, wurdest du ganz blaß und rissest mich an deine Brust, so,
als wolltest du der Erde verwehren, auch mich zu verschlingen.«
Der Priester zog sie vor die anderen Stationsbilder des
Leidensweges.
»Schweig,« rief er, »schau' noch dies, schenk' mir noch Gehör.
Du mußt vor Schmerz und Mitleid in den Staub sinken … Jesus
fällt unter der Last seines Kreuzes. Der Anstieg zum Kalvarienberg
ist steil. Er ist in die Knie gebrochen. Er wischt sich nicht
einmal den Schweiß vom Antlitz, sondern rafft sich auf, geht weiter
seinen Weg … Zum zweitenmal fällt Jesus unter der Kreuzeslast
zusammen. Er wankt bei jedem Schritt. Diesmal ist er so hart auf
die Flanke gestürzt, daß der Atem eine kurze Weile aussetzt. Seine
zerrissenen Hände haben das Kreuz fahren lassen. Seine blutigen
Füße
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