Die Sünde des Abbé Mouret
deutete auf seine Sutane.
»Ich kann nicht,« sagte er einfach, »ich bin Priester.«
»Priester?« sprach sie nach, und ihr Lächeln
schwand. »Doch, der Onkel behauptet, Priester hätten weder Frau,
Schwester noch Mutter. So ist das also wahr? Aber warum bist du
gekommen? Du hast mich doch zu deiner Schwester, deiner Frau
gemacht. Hast du denn gelogen?«
Er hob sein bleiches Gesicht, auf dem Angstschweiß perlte.
»Ich habe gesündigt,« flüsterte er.
»Als ich dich so in Freiheit sah, dachte ich, du seist nicht
mehr Priester. Ich dachte, damit sei es nun zu Ende, und du
bliebest nun immer da, für mich und mit mir… Und was soll ich jetzt
tun, wenn du mir alles fortnimmst?«
»Was auch ich tue,« antwortete er, »knien bis zum Tod und nicht
aufstehen, bevor nicht Gott verziehen hat.«
»Bist du denn ein Feigling?« sagte sie, wieder zornig werdend
und mit verächtlich zuckenden Lippen. Er wankte und schwieg. Ein
schrecklicher Schmerz schnürte ihm den Hals zu; er aber blieb
stärker als der Schmerz. Er hielt den Kopf hoch, fast wie ein
Lächeln umzog es seine zitternden Lippen. Albine betrachtete ihn
eine Weile starr und herausfordernd. Dann wieder begehrend:
»So antworte doch, klage mich an, sag', daß ich dich verführt
habe. Das wird das Ganze krönen … Verteidige dich, ich will
es. Du kannst mich ja schlagen. Schläge wären mir lieber als diese
leichenhafte Starrheit. Hast du kein Blut mehr? Hast du nicht
gehört, daß ich dich Feigling nannte? Ja, niederträchtig feige bist
du, nicht lieben durftest du mich, wenn du kein Mann sein
darfst … Behindert dich dein schwarzes Kleid? Reiß es
herunter. Wenn du nackt bist, wird dir vielleicht anders zumute
werden.«
Der Priester wiederholte langsam die
gleichen Worte:
»Ich habe gesündigt und entschuldige mein Tun nicht. Ich bereue
meine Verfehlung, ohne auf Vergebung zu hoffen. Risse ich mein
Kleid von mir, so risse ich mein Fleisch von mir, weil ich mich
Gott ganz gegeben habe, mit Seele und Leib, ich bin Priester.«
»Und ich? Was wird aus mir?« rief Albine ein letztes Mal.
Er senkte den Kopf nicht.
»Ihr Leiden möge mir als gleiches Maß von Schuld angerechnet
werden! Ewige Verdammnis soll mich treffen für die Verlassenheit,
der ich Sie preisgeben muß. Es wäre gerecht. In aller Unwürdigkeit
bete ich für Sie allabendlich.«
In unendlicher Mutlosigkeit zuckte sie die Achseln. Ihr Zorn
ließ nach. Sie empfand fast Mitleid.
»Du bist nicht bei Verstand,« murmelte sie, »du wirst zur
Einsicht kommen. Was soll ich mit deinen Gebeten. Dich will
ich … Wirst du es denn nie einsehen? Ich hatte dir vieles zu
sagen! Und du stehst da und bringst mich auf mit deinem Gefasel vom
Jenseits … Nun, wir wollen beide versuchen vernünftig zu sein.
Wir wollen warten, bis wir ruhiger geworden sind. Dann sprechen wir
uns wieder … Ich kann doch nicht so von dir gehen, ich kann
dich doch hier nicht lassen. Weil du hier stehst, bist du wie tot,
so kalt, daß ich dich nicht anzufassen wage … Warten wir mit
dem Reden.«
Sie schwieg und tat einige Schritte, sah sich in der kleinen
Kirche um. Immer noch überrieselte der Regen aschengrau die
Scheiben. Naßdurchdampftes kaltes Licht schien die Winde zu
feuchten. Von außen drang kein Laut herein
außer dem einförmigen Rauschen des Regens. Die Spatzen hatten sich
wohl unter die Dachsparren geflüchtet, unbestimmt reckte die
Eberesche ihre von Wasserstürzen durchfeuchteten Äste. Es schlug
fünf Uhr; ein Schlag nach dem anderen entriß sich dem gesprungenen
Uhrgehäuse; dann vertiefte sich das Schweigen noch, wurde
erstickender, betäubender, verzweiflungsvoller. Der kaum
getrocknete Anstrich gab dem Hauptaltar und allem Holzwerk eine
trübe Sauberkeit, wie in nie durchsonnter Klosterkapelle sah es
aus. Tödliche Trübe füllte das Schiff, durchfleckt vom Blut, das
die Glieder der großen Christusfigur überrann, während an den
Mauern die vierzehn Bilder der Passion, gelb-, rotbekleckst, ihr
schauervolles Trauerspiel wiesen. Hier verschmachtete das Leben, in
diesem Todesgrauen, auf diesen gräberhaften Altären, inmitten
dieser Kahlheit eines Leichenkellers. Alles sprach von Hinrichtung,
Nacht, Angst, Vernichtung und Aufhören. Ein letztes Weihrauchwehen
zog wie letzter zärtlicher Atemzug einer Verstorbenen, über der
sich Steinplatten eifersüchtig schlossen.
»Ach,« sagte Albine endlich, »wie schön war es in der Sonne,
entsinnst du dich nicht? Eines Morgens gingen wir zur Linken des
großen
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