Die Sünde des Abbé Mouret
hatte ihm die Waffen zerbrochen, aus seinen Eingeweiden
ein weichliches Lager geschaffen, dem Bösen zur Ruhestatt. Und
nichts von dem wurde ihm bewußt, er ließ sich langsam der Sünde
zutreiben. Als er im Paradeis die Augen aufschlug, fühlte er sich
wie ein Kind, ohne Erinnerung an Vergangenes, unberührt vom
Priestertum. Sanft durchspielte es seine Glieder, überraschtes
Entzücken Leben wieder zu beginnen, als kennten sie es nicht und
erlernten es nun mit größten Freuden. O dies bezaubernde Lernen,
die entzückenden Begebenheiten, wunderbaren Entdeckungen! Das
Paradeis war eine einzige Glückseligkeit. Die Hölle wußte wohl, daß
er dort nicht widerstehen würde. Niemals
war ihm in seiner ersten Jugend das Wachsen eine solche Lust
gewesen. Rief er sich jetzt diese erste Zeit ins Gedächtnis zurück,
erschien sie ihm trüb, dunkel, sonnenlos, ärmlich, blaß und
ungesund. Mit welchen Gefühlen hatte er die Sonne begrüßt! Wie
wunderbar erschien ihm der erste Baum, die erste Blume, das
kleinste Insekt, der geringste Kiesel! Selbst den Steinen gewann er
Reize ab. Der Horizont war ein unerhörtes Wunder. Durch klaren
Morgen, den sein Auge eintrank, durch ein Eratmen duftenden
Jasmins, belauschten Lerchensang, kamen ihm solche Erregungen, daß
die Glieder ihm versagten. Stetig schaffte es ihm Vergnügen, dem
Leben bis in leisestes Erzittern nachzuspüren. Und dann der Morgen
unter Rosen, der ihm Albine an die Seite gebar! Noch überkam ihn
entzücktes Lachen bei dieser Erinnerung. Sie tauchte auf wie ein
Gestirn, der Sonne sogar erfreulich. Sie hellte alles auf,
verklärte alles. Sie ergänzte ihn. Gemeinsam mit ihr beschritt er
die Pfade des Paradeis, nach allen vier Windrichtungen. Er entsann
sich, wie die kurzen Härchen ihr über den Nacken wehten, wenn sie
ihm vorauslief. Sie roch gut, schwenkte weiche Kleider, deren
Berührung liebkoste. Wenn sie ihn mit ihren bloßen Armen umschlang,
schien ihm immer, sie müsse sich um seinen Körper ranken in ihrer
zarten Schlankheit und entschlafen, seiner Haut geschmiegt. Sie
ging vor ihm her und geleitete ihn zu verschlungenen Pfaden, die
ihren Weg verlängerten, das Ziel hinausschoben. Durch sie lernte er
die Erde lieben. Sie selbst lernte er lieben durch das Betrachten
der Pflanzenliebe; lange, unsichere Zärtlichkeit, deren große
Freuden sie dann eines Abends kosteten unter dem mächtigen Baum, im samenrieselnden Schatten. Hier
waren sie am Ziele ihrer Wanderung. Albine, hingeworfen, das
Antlitz in entfesseltes Haar gebettet, streckte die Hände nach ihm.
Er nahm sie in einer Umarmung. Oh, sie an sich zu reißen, sie
wieder zu besitzen, ihre fruchtbar bebenden Flanken zu fühlen,
Leben zu erzeugen, Gott ähnlich zu sein!
Ein dumpfes Stöhnen entrang sich plötzlich dem Priester. Er
bäumte sich empor wie unter Streichen unsichtbarer Geißel, dann
brach er wieder in sich zusammen. Die Versuchung hatte ihn
angefallen. In welche Greuel verlor sich sein Erinnern? Wußte er
denn nicht, daß der Satan alle Künste kennt, daß er sich selbst die
Stunden innerer Prüfung zunutze macht, um bis tief in die Seele
seinen Schlangenkopf einzudrängen. An ihm war es gewesen, auf der
Hut zu sein, Gott wiederzufinden nach überstandenen Fiebern. Und er
hatte im Gegenteil sein Vergnügen darin gesucht, sich zu vergraben
in seine Fleischlichkeit. Und welcher Beweis scheußlicher
Neigungen! Er konnte seine Sünde nicht beichten, ohne wider Willen
sie in Gedanken nochmals zu begehen. Konnte er dies Gräßliche nicht
ersticken? Er träumte davon, sich den Schädel auszuhöhlen, um nicht
mehr denken zu müssen; sich die Adern zu öffnen, um von seinem
schuldvollen Blut nicht mehr gequält zu werden. Eine Weile barg er
bebend sein Gesicht in den Händen und suchte die kleinsten
unbedeckten Stellen seiner Haut zu decken, als wenn ihn
umschnuppernde Wesen warmatmig die Haare zu Berge getrieben
hätten.
Aber er mußte trotzdem nachdenken, trotz allem trieb das Blut
durch sein Herz. Seine Augen, auf die er Fäuste preßte, sahen auf schwarzem Grund die fließenden
Linien von Albines Leib in Flammenlinien gemalt, ihr nackter Busen
blendete wie eine Sonne. Bei jedem Versuch, die Augen einzupressen
und dies Bild zu verjagen, wurde es leuchtender, verdeutlichte sich
unter Verrenkungen und lockenden Armbewegungen, die den Priester
ein Angstgekreisch ausstoßen ließen. Gott verließ ihn also ganz und
gar, daß es keine Zuflucht mehr für ihn gab? Und trotz
Willensanspannung erlebte er die
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