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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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verhelfen könnte, seine Verlassenheit
zu ertragen. So erniedrigte er sich stunden-, tagelang im Erwarten
einer Tröstung, die nicht kam, er mochte sich noch so in die Hand
Gottes geben, sich demütigen vor ihm, bis zum Überdruß die
wirksamsten Gebete sprechen: er fühlte Gott nicht mehr; seine
entfesselte Sinnlichkeit erbebte im Begehren; die Gebete verwirrten
sich ihm auf den Lippen und gingen unter in einem wüsten Gestammel.
Tödlich langsames Kämpfen mit der Versuchung, bei dem die
Glaubenswaffen ihm aus den kraftlosen Händen sanken, eine nach der
anderen, bei dem er nichts mehr war als ein lebloses Ding in den
Krallen der Leidenschaft, bei dem er sich entsetzt seiner ganzen
Abscheulichkeit gegenübersah, ohne auch nur den Mut zu haben, den
kleinen Finger zu heben, um die Sünden zu verscheuchen. So sah sein
Leben jetzt aus. Alle Angriffe der Sünde kannte er. Kein Tag
verging, da er nicht heimgesucht wurde. Die Sünde wandelte sich
tausendfach, drängte sich ein durch die Augen, die
Ohren, griff ihn von vorne an die Brust,
sprang ihm verräterisch auf die Schulter und peinigte ihn bis ins
tiefste Mark. Immerwährend war ihm die Verfehlung gegenwärtig, die
Nacktheit Albines, wie eine Sonne aufstrahlend und durchleuchtend
das Grün des Paradeis. Unablässig sah er sie so vor sich, außer in
den seltenen Augenblicken, da die Gnade ihm die Lider schloß mit
kühlender Liebkosung. Er verbarg sein Leiden wie eine schändliche
Krankheit, sonderte sich ab in jenem bleichen Schweigen, dem man
ihm nicht zu entreißen vermochte, und erfüllte das Pfarrhaus mit
seinem Märtyrertum, seinem Bescheiden, so daß die Teusin fast außer
sich geriet und hinter seinem Rücken dem Himmel eine Faust machte.
Diesmal war er allein und konnte ohne Scheu sich dem tödlichen
Ringen überantworten. Die Sünde hatte ihn so hart angefaßt, daß ihm
keine Kraft blieb, sich von der Altarstufe zu erheben, auf die er
niedergefallen war. Er fuhr fort, hörbar zu atmen, heiß vor Angst
und tränenlos. Und er gedachte seines früheren, friedvollen Lebens.
Ach, welcher Friede, welche Zuversicht noch bei seiner Ankunft im
Artaud! Das Heil war ihm vorgekommen wie eine breite, bequeme
Straße. Zu jener Zeit hatte er gelacht, wenn man von der Versuchung
sprach. Er lebte, umringt von Sündigkeit, ohne sie zu kennen, ohne
sie zu fürchten, im sicheren Gefühl, sie überwinden zu können. Er
war ein vollkommener Priester, so keusch, so unwissend vor Gott,
daß Gott ihn an der Hand geleitete wie ein kleines Kind. Jetzt war
von dieser Kindlichkeit nichts mehr geblieben. Gott suchte ihn heim
am Morgen und stellte ihn gleich auf die Probe. Sein ganzes
irdisches Leben wurde Versuchung. Mit dem Sündenfall, dem
vorrückenden Alter, trat er ein in den ewigen Kampf. War es, weil Gott zu dieser Stunde ihm
mehr zugetan war? Alle großen Heiligen haben Fetzen ihres Fleisches
gelassen in den Dornen des Leidensweges. Er versuchte, aus dieser
Wissenschaft sich eine Tröstung zu schaffen. Bei jedem Zerreißen
seines Fleisches, jedem Krachen seiner Knochen versprach er sich
wunderbaren Lohn. Niemals konnte der Himmel ihn genugsam
heimsuchen. Er ging so weit, seine frühere Ruhe geringzuschätzen,
unerkämpfte Innigkeit, die ihn in mädchenhaftem Entzücken auf die
Knie warf, ohne daß er sogar die Kühle des Bodens in seinen Knien
empfunden hatte. Er brachte es fertig, eine Lust zu finden in den
Tiefen des Leidens, und dort sich zur Ruhe zu begeben und zu
schlafen. Aber während er Gott lobte, schlugen seine Zähne stärker
aufeinander, die Stimme seines empörten Blutes rief ihm zu, all
dies sei Lüge, die einzig zu ersehnende Freude sei, in den Armen
Albines niederzusinken hinter blühenden Hecken des Paradeis.
    Und doch hatte er Maria um Jesu willen verlassen, hatte sein
Herz geopfert, um sein Fleisch zu überwinden; er träumte, seinen
Glauben mit mehr Männlichkeit zu erfüllen. Maria mit den schmalen
Scheiteln und ausgestreckten Händen, ihrem fraulichen Lächeln,
erregte ihn zu sehr. Er vermochte nicht, vor ihr zu knien ohne die
Augen senken zu müssen, aus Furcht, nach dem Saum ihrer Röcke zu
schielen. Auch klagte er sie an, ehemals zu sänftiglich mit ihm
verfahren zu sein, so lange hatte sie ihn in den Falten ihres
Gewandes bewahrt, daß er sich aus ihren Armen in die Arme der
Kreatur gleiten ließ, ohne auch nur gewahr zu werden, daß sein
zärtliches Gefühl sich verstellte. Und er rief sich die Roheiten
des Bruders Archangias ins Gedächtnis,
seine

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