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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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beschreiben. Ihre Haare waren
engelsblond. Große, sanfte Augen hatte sie und war ganz blaß, den
aureolenumgebenen heiligen Frauen ähnlich. Jesus schwieg und
lächelte. Und wie sie gewachsen war! Einer Königin glich sie jetzt
mit ihren prachtvollen Schultern, ihrer üppigen Gestalt. Oh, sie um
die Mitte zu fassen, sei es auch nur für Sekunden, zu fühlen, wie
ihre Schultern sich in der Umarmung nach rückwärts bogen. Jesu
Lächeln verblich, schwand wie ein Sternstrahl an Himmelsrändern.
Der Abbé Mouret redete jetzund allein
weiter. Fürwahr, zu hart war er gewesen. Warum denn Albine ohne ein
einziges zärtliches Wort verjagen, wo doch der Himmel Liebe
gestattete!
    »Ich liebe sie! Ich liebe sie!« rief er außer sich mit lauter
Stimme, die in der Kirche widerhallte. Er sah sie noch vor sich.
Sie streckte die Arme nach ihm und war begehrenswert, alle Gelübde
hätte er ihretwegen zu brechen vermocht. Und er warf sich an ihre
Brust, ohne der Kirche zu achten; er umschlang ihre Glieder und
besaß sie ganz unter einem Regen von Küssen. Vor ihr brach er jetzt
in die Knie, bat um Barmherzigkeit und erflehte Verzeihung für
seine Roheit. Er fand die Erklärung: in manchen Stunden spräche
eine andere Stimme als die seine aus ihm. Hätte er sie denn sonst
mißhandeln können! Einzig die fremde Stimme hatte gesprochen, nicht
von ihm kamen die Worte, von ihm, der doch ohne Erbeben nicht
vermocht hätte, ein Haar ihres Hauptes zu krümmen. Und doch hatte
er sie verjagt, die Kirche war und blieb leer. Wohin mußte er
eilen, um sie anzutreffen, zurückzuführen, um ihre Tränen mit
Zärtlichkeit zu trocknen? Stärker fiel der Regen. Die Wege waren in
Sümpfe verwandelt. Er stellte sie sich vor, regengepeitscht an den
Gräben entlang wankend mit durchweichten Röcken, die ihr an der
Haut klebten. Nein, nein, er war's nicht gewesen, der andere war
es, jener Eiferer, der grausam seine Liebe zu Tode bringen
wollte.
    »O Jesus,« schrie er plötzlich verzweifelt auf, »sei gütig, gib
sie mir zurück.«
    Jesus aber war nicht mehr bei ihm… Da erblaßte der Abbé Mouret
tief, mit einem Ruck fand er sich zurück. Er verstand, er hatte Jesus nicht halten können. Er
verlor seinen Freund, blieb wehrlos dem Verderben preisgegeben. An
Stelle der inneren Klarheit, die ihn erleuchtet hatte, und in der
er seinen Gott aufnahm, fand er in sich nichts mehr als Finsternis
und schlimme Dämpfe, die sein Fleisch in Wallung brachten. Jesus
hatte die Gnade mit sich genommen, als er ihn verließ. Er, der seit
morgens sich so gestärkt gefühlt durch himmlischen Beistand, fühlte
sich nun urplötzlich elend, verlassen, kindhaft, schwach. Und welch
gräßlicher Fall! Welch bitteres Sinken! Heldenhaft gekämpft zu
haben, aufrecht, unbesiegbar und unerschütterlich, angesichts der
Versuchung, der Lebenden mit dem üppigen Leib, den prachtvollen
Schultern, dem Duft leidenschaftlicher Weiblichkeit; und dann
schändlich zu unterliegen, in abscheulicher Begehrlichkeit zu
keuchen, als die Versuchung wich und nichts von ihr geblieben war
als ein bebender Duft blonder Haut! Und jetzt in der Erinnerung
kehrte sie allmählich zurück und füllte die Kirche.
    »Jesus, Jesus,« schrie der Priester ein letztes Mal. »Kehr
wieder, kehr wieder in mich ein, rede zu mir!«
    Jesus blieb taub. Eine Zeitlang flehte der Abbé Mouret zum
Himmel mit leidenschaftlich erhobenen Armen. Seine Schultergelenke
krachten in der außerordentlichen Glut seiner Beschwörungen. Bald
sanken seine Arme mutlos herab. Der Himmel schwieg, die Frommen
kennen dieses Schweigen. Da ließ er sich vernichtet wieder auf die
Altarstufen nieder, mit erdfahlem Antlitz, drückte die Ellbogen eng
an die Seiten, wie um seine Körperlichkeit zu verringern; von der
Versuchung angefallen, schrumpfte er zusammen.
    »Mein Gott, warum verläßt du mich?« murmelte
er. »Dein Wille geschehe!«
    Er sprach kein Wort mehr und atmete in lauten Stößen, wie ein
gejagtes Tier, unbeweglich in Furcht vor den Bissen. Seit seiner
Verfehlung war er so das Spielzeug der Gnade. Den innigsten Bitten
versagte sie sich, sank unerwartet zaubervoll nieder, wenn er schon
nicht mehr zu hoffen wagte, sie vor Verstreichen von Jahren zu
erlangen. Die ersten Male hatte er sich empört, hatte wie ein
verratener Liebhaber gesprochen, der die unverzügliche Rückkehr
jener Trösterin fordert, deren Kuß ihn so stärkt. Nach
unfruchtbaren Zornausbrüchen hatte er begriffen, daß Demut weniger
wehe tat und ihm einzig dazu

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