Die Sünde des Abbé Mouret
Weigerung, Maria zu verehren, den mißtrauischen Blick, mit
dem er sie zu überwachen schien. Er verzweifelte daran, jemals bis
zu dieser Härte vorzudringen; er verließ sie einfach, versteckte
ihre Bilder, floh ihren Altar. Auf dem Grund seines Herzens aber
bewahrte er sie wie eine uneingestandene, immer gegenwärtige Liebe.
Die Sünde bediente sich ihrer, um ihn zu versuchen in
schrecklicher, ihn niederschmetternder Lästerlichkeit. Rief er sie
in manchen Stunden unbesiegbarer Hinneigung wieder an, war es
Albine, die sich zeigte, im weißen Schleier, mit der
blauverschlungenen Schärpe umgürtet, Goldrosen auf den nackten
Füßen. Alle Bilder der Jungfrau, die Jungfrau im goldenen
Königsmantel, die sterngekrönte Jungfrau, die vom
Verkündigungsengel heimgesuchte Jungfrau, die Friedensjungfrau mit
Spindel und Lilien, ließen Erinnerungen an Albine aufsteigen, an
die lächelnden Augen, den feingezeichneten Mund, die weiche Rundung
der Wangen. Sein Fall hatte der Jungfräulichkeit Marias ein Ende
bereitet. So vertrieb er mit letzter Kraft die Frau aus der
Religion und suchte Zuflucht in Jesus, dessen Sanftheit ihm auch
zuweilen Unruhen schaffte. Ein eifernder Gott tat ihm not, ein
unerbittlicher Gott, der von Donnern umprasselte Gott des Alten
Testaments, der sich nur zeigt, um die entsetzte Welt zu strafen.
Keine Heiligen, keine Engel, keine Gottesmutter durfte es mehr
geben; nur Gott, ein allmächtiger Herrscher, der jeden Atemzug für
sich in Anspruch nahm. Er fühlte, wie die Hand dieses Gottes ihm
die Glieder zerbrach, ihn auf Gnade und Ungnade hielt in Raum und
Zeit, wie schuldiges Atom. Ein Nichts sein, in der Vorstellung von
Hölle und Verdammnis leben, fruchtlos
ankämpfen gegen die Untiere der Versuchung, das war gut. Von Jesus
nahm er nichts an als das Kreuz. Er nahm das Kreuz und folgte Jesus
nach. Er beschwerte es noch, ließ sich zu Boden drücken von ihm,
kannte keine größere Genugtuung, als unter ihm zusammenzustürzen,
es kniend zu schleppen, mit brechendem Rückgrat. In ihm erblickte
er die Stärkung der Seele, die Freude des Geistes, die höchste
Tugend und heiligste Vollkommenheit. In seinem Zeichen erlangte man
alles, alles endete im Sterben am Kreuz. Leiden, Sterben,
unaufhörlich klangen ihm diese Worte im Ohr, wie das Ziel aller
menschlichen Weisheit. Und hatte er sich dem Kreuz verbunden, blieb
ihm die Tröstung schrankenloser Gottesliebe. Das war nicht mehr
Maria, die er in Sohneszärtlichkeit liebte und mit der Glut eines
Liebhabers. Um der Liebe willen liebte er, in
Liebesunumschränktheit. Er liebte Gott über sich selbst hinaus,
über alles, aus tiefster Lichtentschlossenheit. Er war dergestalt
wie eine Kerze, die sich in Klarheit verzehrt. Der Tod, erwünschte
er ihn, war für sein Anschauen nur ein großer Liebesaufschwung. In
was fehlte er denn, um so starker Prüfung unterworfen zu werden? Er
wischte mit der Hand den Schweiß ab, der ihm von den Schläfen rann
und dachte, wie er am Morgen noch beim Prüfen seines Gewissens
keinerlei schwere Vergehung hatte in sich entdecken können. Führte
er nicht ein Leben voll Enthaltsamkeit und Kasteiung? Liebte er
Gott nicht blind und ausschließlich? Ach, wie hätte er ihm
lobgesungen, hätte er ihm endlich Ruhe beschieden und ihn für seine
Missetat genugsam bestraft erachtet! Vielleicht aber konnte dies
Verfehlen niemals gesühnt werden. Und gegen seinen Willen kehrten
seine Gedanken zu Albine zurück, zum
Paradeis, zu dem sengenden Erinnern. Er begann nach
Entschuldigungen zu fahnden. An einem schönen Abend stürzte er in
seinem Zimmer zusammen, von einem Nervenfieber überfallen. Drei
Wochen lag er vergewaltigt von diesem körperlichen Ringen. Wild
durchwusch sein Blut die Adern, von Kopf bis zu Füßen, durchtobte
ihn mit dem Tosen entfesselten Sturmes; vom Schädel bis zu den
Fußsohlen wurde sein Körper gesäubert, erneuert, durchpulst von
solchem Krankheitsfleiß, daß es ihm in seinen Fiebervorstellungen
oftmals vorkam, als hörte er das Gehämmer der Arbeiter, die seine
Knochen wieder zusammenflickten. Dann erwachte er eines Morgens wie
neugeboren. Er trat zum zweiten Male in die Welt, befreit von
allem, das fünfundzwanzig Jahre Leben in ihm abgelagert hatten.
Seine Kindheitsfrömmigkeit, die Seminaristengelehrsamkeit, die
Überzeugungen seines jungen Priestertums, alles war geschwunden,
untergegangen, fortgespült, und hinterließ nichts als Leere.
Sicherlich hatte allein die Hölle ihn der Sünde derart urbar
gemacht,
Weitere Kostenlose Bücher