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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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»Ich konnte
nie an einer Kirche vorbeigehen, ohne einzutreten. Wenn die Türe
lautlos zufiel, war mir, als sei ich im Paradies, umgeben von
Engelstimmen, die mir sanfte Märchen ins Ohr flüsterten, umatmet
von heiligen Männern, heiligen Frauen, deren Liebkosung mich ganz
überglitt… Ja, dort hätte ich unablässig mein Leben verbringen
mögen, versunken in Seligkeitstiefen.«
    Sie betrachtete ihn mit starren Augen, während es ihren
zärtlichen Blick kurz durchflammte. Sie begann wieder, noch immer
demütig:
    »Ich würde allen deinen Launen nachgeben. Früher trieb ich
Musik, ich war eine gelehrte kleine Dame, deren Reize und
gesellschaftliche Fähigkeiten man zu entwickeln trachtete …
Wieder würde ich mich unterrichten lassen, wieder Musik treiben.
Wünschest du eine Lieblingsmelodie von mir zu hören, so gib sie mir
nur an, monatelang werde ich sie einüben, sie dir eines Abends
vorsingen im traulichen, verhangenen Zimmer. Und ein einziger Kuß
von dir wird mir genügend Lohn sein. Ein Kuß auf den Mund, der
deine Liebe wieder entfacht. Du wirst Besitz von mir ergreifen und
ich werde vergehen in deinen Armen!«
    »Ja, ja,« murmelte er und verfolgte weiter den Lauf seiner
eigenen Gedanken. »Zuerst war es mein größtes Vergnügen, Kerzen zu
entzünden, Meßkännlein zu füllen und das
Meßbuch auf gefalteten Händen zu tragen. Später hat mich das
langsame stetige Vordringen zu Gott entzückt und ich vermeinte aus
Liebe sterben zu müssen… Anderes lebt nicht in meiner Erinnerung.
Ich weiß von nichts mehr. Hebe ich die Hand, ist es, um zu segnen.
Formt sich ein Kuß auf meinen Lippen, ist er dem Altar bestimmt.
Suche ich mein Herz, so finde ich es nicht mehr: Ich habe es Gott
zugewandt, der es in seine Obhut genommen hat.«
    Sie erblaßte tief. Ihre Augen glühten auf und begannen zu
funkeln. Mit einem Zittern in der Stimme redete sie weiter:
    »Und meine Tochter will ich nicht von der Seite lassen. Wenn du
es richtig findest, kannst du den Jungen auf die Schule schicken.
Der kleine Blondkopf soll bei mir bleiben und nur von mir lesen
lernen. Oh, es wird mir alles wieder einfallen, wenn Lücken in
meinem Gedächtnis sind, lass' ich mir Stunden geben … Das
kleine Volk soll mit uns leben, das wird dich beglücken, nicht
wahr? Antworte mir, sag' mir, daß es dir warm ums Herz sein wird,
daß du reuelos dich freuen kannst?«
    »Oft habe ich an die Heiligen aus Stein denken müssen, die man
in ihren Nischen beräuchert seit Jahrhunderten,« sagte er sehr
leise. »In der Länge der Zeit müssen sie bis ins Innerste mit
Weihrauch getränkt sein … Ich bin wie einer dieser Heiligen.
Weihrauch ist mir bis in die letzte Wesensfalte gedrungen. Diese
Balsamierung verursacht meine Entrücktheit, das geruhsame Absterben
meiner Fleischlichkeit, den köstlichen Frieden meines Nichtlebens…
. Ach, nichts soll mich aus dem köstlichen Frieden meines
Nichtlebens reißen! Kalt und starr werde ich verharren in der Unaufhörlichkeit meines granitenen Lächelns,
unfähig herabzusteigen zu den Menschen. Anderes erwünscht ich mir
nicht.«
    Drohend, zürnend erhob sie sich, sie schüttelte ihn und
rief:
    »Was sagst du da? Redest du im Schlaf? Bin ich nicht dein Weib?
Bist du nicht gekommen, um mein Gatte zu sein?«
    Stärker durchbebte es ihn und er wich zurück.
    »Nein, laß mich, mir ist Angst,« stammelte er.
    »Und unser gemeinsames Leben, unser Glück, unsere Kinder?«
    »Nein, nein, ich fürchte mich.«
    Dann schrie er auf in äußerster Bedrängnis:
    »Ich kann nicht, ich kann nicht!«
    Da verstummte sie eine Weile angesichts des Häuflein Elends, das
ihr zu Füßen zitterte. Eine Flamme schlug ihr übers Antlitz. Sie
streckte die Arme aus, wie, um ihn zu fassen, ihn an sich zu
reißen, im zürnenden, aufbrausenden Begehren. Dann schien sie sich
eines Besseren zu besinnen, ergriff ihn nur bei der Hand und zog
ihn in die Höhe.
    »Komm,« sagte sie.
    Und sie führte ihn zu dem riesigen Baum, zu der Stelle, da sie
sich hingegeben hatte, da er sie besessen hatte. Dort schattete die
gleiche Glückseligkeit, immer noch atmete der Stamm wie eine Brust,
die gleichen Zweige breiteten sich wie schützende Gliedmaßen. Der
Baum war gut, mutig, stark und fruchtbar wie ehemals. Wie am Tage
ihrer Einigung zog es über der grün durchsichtig überbadeten
Lichtung, wie an nackter Schulter einer Liebenden ersterbendes Sommernachtleuchten, wie kaum
vernehmbares, in schweigend langes Beben auszitterndes
Liebesgeflüster. Von

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