Die Sünde des Abbé Mouret
und
Grasstreifen, die sich am Horizont verloren. Dies alles gehörte
ihnen einstmals. Lange Tage hatten sie hier verbracht. Da drüben,
zwischen den drei Weiden am Ufer jenes Wassers, spielten sie
Verliebtsein. Damals hatten sie sich gewünscht, die Halme möchten
höher sein als sie selbst, um sich ganz verlieren zu können in
ihrer fließenden Bewegung, um noch geborgener zu sein und weiter
von allem, wie Lerchen, die tief in ein Kornfeld streifen. Warum
denn erzitterte er heute, nur, weil seine
Fußspitze sich feuchtete und im Rasen einsank?
Sie führte ihn in den Wald. Die Bäume erschreckten Sergius noch
mehr. Er kannte sie nicht in dieser stammdunklen Würde. Mehr noch
als anderswo schien ihm hier inmitten des strengen Hochwaldes die
Vergangenheit erstorben. Die ersten Regengüsse hatten ihre Spuren
im Sande verwischt, die Winde entführten alles noch Sichtbare in
das Unterholz der Sträucher. Albine aber, der Traurigkeit die Kehle
zuschnürte, lehnte sich mit einem Blick dagegen auf. Sie fand im
Sand die kleinsten Spuren ihrer Spaziergänge. Bei jedem Gebüsch
stieg ihr alte Glut ins Antlitz, die im Vorüberstreifen dort
hängengeblieben war. Bittenden Auges suchte sie immer noch, in
Sergius Erinnerungen wachzurufen. Diesen Weg entlang waren sie
schweigend und in großer Erregung gewandert und hatten nicht
gewagt, von ihrer Liebe zu reden. Auf dieser Lichtung hatten sie
eines Abends im Anschauen der Sterne, die heiß auf sie
niederregneten, der Heimkehr vergessen. Unter der Eiche etwas
weiter, hatten sie sich zum erstenmal geküßt. Der Duft dieses
Kusses umschwebte noch das Eichengeäst, das Moos sogar wußte noch
davon. Eine Unwahrheit sei es zu sagen, Leere und Schweigen breite
sich jetzt über den Wald. Sergius wandte den Kopf zur Seite, um
Albines Blick zu entgehen, der ihn ermüdete.
Sie führte ihn zu den großen Felsen. Dort würde ihm vielleicht
dies schwächliche Frösteln vergehen, das sie zur Verzweiflung
brachte. Einzig die großen Felsen waren zu dieser Stunde noch von
warmen Sonnenuntergangsröten überglutet. Wie immer starrten sie in
wilder Trauer, und ihren Kiesellagern
überwälzte sich ungeheuerliche Paarung fleischiger Pflanzlichkeit.
Und wortlos, ohne nur den Kopf zu wenden, zog Albine Sergius die
steile Steigung hinan, wollte ihn höher, immer höher hinaufführen,
über die Quellen hinaus, auf daß sie gemeinsam wieder der Sonne
teilhaftig würden. Zur Zeder müßten sie wieder gelangen, in den
Schatten, dessen Begehren sie ängstigte. Auf das heiße Gestein
würden sie sich strecken und warten, bis Erddrängen sie überkäme.
Aber bald schmerzten Sergius die Füße, so daß er kaum noch vorwärts
kam. Ein erstes Mal stürzte er in die Knie. Albine zog ihn mit
größter Anstrengung auf und stützte ihn einen Augenblick. Dann fiel
er zum zweiten Male und blieb ermattet mitten auf dem Weg liegen.
Unter ihm, soweit er sehen konnte, dehnte sich weit das
Paradeis.
»Du hast gelogen,« schrie Albine auf, »du liebst mich nicht
mehr!«
Und ihm zur Seite weinte sie über ihr Unvermögen, ihn höher
hinauf zu führen. Es regte sich noch kein Zürnen in ihr, mit Tränen
nur begoß sie ihre sterbende Liebe.
Er blieb wie zerschmettert.
»Der Garten ist tot, mir ist entsetzlich kalt,« flüsterte
er.
Sie nahm seinen Kopf in die Hände und zeigte über das Paradeis
hin.
»So sieh doch hin … Ach, deine Augen sind tot, deine Ohren,
deine Hände, dein ganzer Körper lebt nicht mehr. All unsere Freuden
hast du durchwandelt, ohne sie zu sehen, hören, fühlen zu können.
Müde und gelangweilt bist du umhergestolpert, und nun liegst du
hier.«
Sanft und vollkommen ruhig widersprach er. Da flammte sie zum
ersten Male auf.
»Schweig! Als ob der Garten jemals sterben
könnte! Er wird schlafen den Winter über und im Mai erwachen, alles
uns wiederschenken, was von unserer Zärtlichkeit ihm anvertraut
wurde. Unsere Küsse werden im Gartenhag erblühen, unsere Schwüre
mit Gräsern und Bäumen auferstehen … Sähest du ihn,
verständest du ihn, müßtest du fühlen, wie er tiefer noch erregt
ist und mit sanfterer Ergriffenheit liebt in dieser herbstlichen
Zeit, als wenn er sich Genüge tun kann im Zeugen… Du liebst mich
nicht mehr, so kannst du auch nichts mehr wissen.«
Er schlug die Augen zu ihr auf und bat sie, ihm nicht zu zürnen.
Sein Gesicht war kleiner geworden und erblaßte kindlich angstvoll.
Lautes Sprechen ließ ihn zusammenfahren. Er erreichte schließlich
von ihr, daß sie sich
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