Die Sünde des Abbé Mouret
einen Augenblick neben ihn auf den Weg
niederließ. So konnten sie in Ruhe reden und sich
auseinandersetzen. Und angesichts des Paradeis, ohne sich auch nur
mit den Fingerspitzen zu berühren, redeten sie über ihre Liebe.
»Ich liebe dich, ich liebe dich,« sagte er eintönig; »liebte ich
dich nicht, wäre ich nicht gekommen … Es ist wahr, ich bin
todmüde. Warum, weiß ich nicht. Mir schien, hier müßte mir wieder
warm und gut werden, schon der Gedanke war Liebkosung. Und nun
friere ich, der Garten ist verdunkelt und nichts sehe ich wieder
von allem, das ich verließ. Aber meine Schuld ist das nicht. Ich
strenge mich an, es dir nachzutun, ich möchte so sein, wie du
willst.«
»Du liebst mich nicht mehr!« sagte Albine nochmals.
»Doch, ich liebe dich. Als ich dich fortgeschickt hatte neulich,
litt ich sehr… Oh, so unaussprechlich liebte ich dich, daß ich dich
erdrückt hätte in einer Umarmung, wärest
du zurückgekehrt in meine Arme. Niemals habe ich dich so heiß
begehrt. Stundenlang warst du wie leibhaft bei mir und hast mich
mit weichen Händen gepeinigt. Schloß ich die Augen, leuchtetest du
wie eine Sonne auf und hülltest mich in deine Flammen … Da
trat ich alles in den Staub und machte mich auf zu dir.«
Er schwieg und schien nachzudenken, dann fuhr er fort:
»Und jetzt sind meine Arme wie gelähmt. Wollte ich dich an meine
Brust ziehen, vermöchte ich dich nicht zu halten, und du
entglittest mir … Gedulde dich, dies Frösteln wird
vorübergehen. Ich werde deine Hände wieder küssen. Sei lieb, sieh
mich nicht mit bösen Augen an. Hilf mir, auf daß mein Herz den Weg
zurückfindet.«
Seine Betrübnis war so echt, so ehrlich schien er die flüchtige
Vergangenheit zurückzuwünschen, daß es Albine rührte. Sie gewann
ihre Sanftmut für eine Weile zurück und stellte ihm besorgte
Fragen.
»Leidest du? Was fehlt dir?«
»Ich weiß es selbst nicht. Mir ist, als ob alles Blut aus meinen
Adern wiche … Auf dem Weg vorhin war mir zumut, als würde mir
ein eisig kaltes Kleid über die Schultern geworfen, das mir
anhaftete und mich von Kopf bis zu Füßen in Stein
verwandelte … Schon einmal hatte ich das gleiche Gefühl …
ich weiß nicht mehr wann.«
Mit einem Freundeslachen unterbrach sie ihn.
»Ein Kind bist du, du wirst dich erkältet haben, und das ist die
ganze Geschichte… Höre, so bin ich es wenigstens nicht, die dich
beängstigt? Im Winter wollen wir uns nicht in diesem Garten
vergraben, wie zwei Wilde. Wir können gehen, wohin du willst, in
irgendeine große Stadt. Wir werden uns im
Treiben der Welt genau so ruhig lieben wie unter Bäumen. Und du
wirst sehen, daß ich nicht nur eine Landstreicherin bin, die Nester
aufzufinden weiß und stundenlang zu gehen vermag … Als ich
klein war, trug ich gestickte Röcke, durchbrochene Strümpfe,
Spitzen und Bänder. Das weißt du vielleicht gar nicht?«
Er hörte ihr gar nicht zu und schrie plötzlich leise auf.
»Ach, jetzt erinnere ich mich!«
Als sie ihn zur Rede stellte, wollte er keine Antwort geben. Das
Gefühl, wie die Seminarkapelle auf seinen Schultern lastete, war
wieder in ihm aufgestiegen. Dies war das eisigkalte Gewand, das
seinen Körper in Stein verwandelte. Unwiederbringlich geriet er so
zurück in seine priesterliche Vergangenheit.
Undeutliche Erinnerungen, die auf dem Weg vom Artaud zum
Paradeis in ihm erwachten, hatten sich vertieft und drängten
unaufhaltsam vor. Während Albine fortfuhr, vom Glück ihres
gemeinsamen Lebens zu reden, vernahm er den Ruf des Glöckchens bei
der Auferstehung und sah die Monstranz Feuerzeichen beschreiben
über knienden Volksmassen.
»Doch,« sagte sie, »für dich würde ich meine gestickten Kleider
wieder antun… Ich will dich lustig sehen. Wir werden schon
Zerstreuung für dich finden. Vielleicht wirst du mich mehr lieben,
wenn du mich schön und damenhaft gekleidet siehst. Die Haare werden
mir nicht mehr über den Nacken rollen und nicht mehr schief wird
der Kamm sitzen, auch werde ich die Ärmel nicht mehr bis zu den
Ellbogen aufstreifen. Mein Kleid wird geschlossen sein, damit es
mir nicht mehr über die Schultern herabgleiten kann. Wie man grüßt
und sich beim Gehen ein Ansehen gibt, das
Kinn würdig hebt, weiß ich noch. Glaub mir, du wirst eine hübsche
Frau spazierenführen.«
»Bist du, als du klein warst, manchmal in der Kirche gewesen?«
fragte er sie mit halber Stimme, als spänne er gegen seinen Willen
innere Gespräche fort, die ihn am Zuhören hinderten.
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