Die Sünde des Abbé Mouret
habe ich meine Tage dort zugebracht, wo du
mich eben fandest. Nur ein einziges Verlangen hatte ich, dich durch die Mauerlücke auf
mich zukommen zu sehen. Bei jedem Laut stand ich auf und lief dir
entgegen. Und nie warst du es, Blätter raschelten im Wind; aber ich
wußte genau, du würdest kommen. Jahre hätte ich gewartet.«
Dann fragte sie ihn:
»Liebst du mich noch?«
»Ja,« antwortete er, »ich liebe dich noch.«
In einiger Verlegenheit standen sie sich gegenüber, ein langes
Schweigen trat ein; Sergius verhielt sich still und machte keinen
Versuch, es zu brechen. Albine wollte zweimal den Mund auftun,
schloß ihn aber gleich wieder, verwundert über die Worte, die ihr
auf die Lippen traten. Sie fand nur noch bittere Worte und fühlte,
wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Was war ihr denn, daß sie
nicht glücklich zu sein vermochte, wo doch ihr Geliebter
zurückkehrte?
»Höre,« sagte sie endlich, »hier ist nicht gut sein. Hier
vereist man ja… Gehen wir ins Haus. Gib mir deine Hand.«
Und das Paradeis schlug hinter ihnen zusammen. Der Herbst war im
Anzug, sorgenvoll standen die Bäume, ihren ergilbenden Wipfeln
entriß sich Blatt um Blatt. Auf den Wegen lag schon eine feuchte
Schicht erstorbenes Grün, das unter den Schritten aufseufzte. Über
den Rasenhängen wehten Trauernebel, die blaue Fernen verhängten.
Und der ganze Garten schwieg, nur bebende Betrübnis durchatmete
ihn.
Sergius zitterte vor Kälte unter den großen Bäumen der Allee,
die sie durchschritten. Halblaut sagte er:
»Wie kalt es hier ist.«
»Du frierst?« flüsterte Albine bekümmert.
»Meine Hand wärmt dich nicht mehr. Willst du, daß ich mein Kleid um
dich schlage? … Komm, all unsere Zärtlichkeiten wachen wieder
auf.«
Sie führte ihn zu den Beeten. Noch dufteten die Rosenstöcke. Die
letzten Blumen hauchten scharfe Düfte aus, während das zu dichte
Blattwerk wie leblose Lache sich breitete. Aber Sergius empfand so
viel Widerwillen davor, in dies Gewucher eindringen zu müssen, daß
sie sich am Rand entlang hielten und von weitem nach den Alleen
spähten, die sie im Frühling gemeinsam durchwandelt hatten. Aller
Winkel entsann sie sich, und sie wies ihm die Grotte der ruhenden
Marmorfrau, wies ihm das krause Geriesel von Geißblatt und
Klematis, die Veilchenwiesen, jenen Brunnen, in den rote Nelken
sich ergossen, die große Treppe, überwogt von wilden Levkoien, die
verfallene Säulenhalle, in deren Mitte wilde Lilien weißen Tempel
bauten. Dies war der Ort ihrer Sonnengeburt. Und sie beschrieb die
kleinsten Einzelheiten ihres ersten Tages, die Art, wie sie gingen
und den Geruch der Luft im Schatten. Er hörte scheinbar zu;
irgendeine Frage bewies aber, daß er nicht verstanden hatte, um was
es sich handelte. Das leichte Frostgefühl, das ihn erblassen ließ,
wich nicht mehr. Sie führte ihn zu dem Obstgarten, doch sie konnten
nicht einmal ganz bis zu ihm hin gelangen. Der Fluß war
angeschwollen. Sergius kam nicht mehr der Gedanke, Albine auf den
Rücken zu nehmen, um sie an das andere Ufer zu tragen. Und doch
waren da drüben Apfel- und Birnbäume mit Früchten noch beladen; die
Weinstöcke, sparsamer beblättert, bogen sich unter der Last blonder
Trauben, deren jede Beere das rote Sonnenmal trug. Als sie im überreichen Schatten dieser ehrwürdigen
Bäume sich herumgetrieben hatten, waren sie noch Kinder. Albine
mußte noch lächeln über die Unverfrorenheit, mit der sie ihre Beine
zeigte, wenn Zweige brachen. Konnte er sich wenigstens erinnern,
wie sie die Pflaumen gegessen hatten? Sergius schüttelte den Kopf
als Antwort. Er war schon ermüdet. Der Obstgarten mit seinen grünen
Tiefen, seinem schäumenden Stengelgetriebe, einem
zusammengebrochenen und zertretenen Gerüst nicht unähnlich, wurde
ihm unbehaglich, und es fiel ihm ein, daß es an feuchten Orten
Brennesseln und Schlangen gäbe. Sie führte ihn auf die Wiesen. Dort
mußte er ein paar Schritte im hohen Grase tun. Es reichte ihm jetzt
bis zur Schulter, und die Halme schienen ihm wie ebenso viele
kleine Arme, die versuchten, ihm die Glieder zu umwinden, um ihn
unterzutauchen und zu ertränken in den Gründen dieses grünenden
Meeres. Und flehentlich bat er Albine, nicht weiterzugehen. Weiter
ging sie und blieb nicht stehen; als sie jedoch wahrnahm, daß er
litt, stand sie still neben ihm, mehr und mehr umdüstert und von
seinem Frösteln zu guter Letzt angesteckt. Aber sie sprach immer
noch. In einer großen Geste zeigte sie die Bäche, Weidenreihen
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