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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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hätte, die kleinen
Himmelsmädchen, die in der Ewigkeit spielen mit den kleinen
siebenjährig verstorbenen Knaben in einer Paradiesecke. Und er war
schon ernst; heranwachsend hütete er das Geheimnis seiner heiligen
Liebe, von den holden Schamhaftigkeiten des Jünglingsalters
befallen. Maria wuchs mit ihm heran, blieb immer ein oder zwei
Jahre älter als er, wie es einer gebietenden Freundin zukommt. Sie
war zwanzigjährig, als er achtzehn Jahre war. Sie küßte ihn nachts
nicht mehr auf die Stirne; in einiger Entfernung stand sie, mit
über der Brust gekreuzten Armen, in anbetungswürdiger Süße, gehüllt
in die Keuschheit ihres Lächelns. Er sprach sie nur noch ganz leise
an und fühlte sein Herz vergehen, wenn der geliebte Name ihm beim
Gebet über die Lippen kam. Er erträumte sich nicht mehr
Kinderspiele im himmlischen Gartengrund, sondern ein unablässiges
Versenken in dies so reine blasse Antlitz, dem er sich nicht hätte
nähern wollen, auch nur mit dem Hauch seines Mundes. Selbst seiner
Mutter verheimlichte er die Innigkeit seiner Neigung.
    Einige Jahre später, als er sich im Seminar befand, trübte sich
unruhvoll diese schöne, ehrliche und natürliche Zärtlichkeit zu
Maria. Diente der Marienkult notwendig zum Heil? Hieß es Gott nicht
berauben, wenn er Maria einen Teil seiner Liebe, den größten,
zuwandte, sein Denken, sein Herz, sein Alles? Schwere Fragen,
innerer Kampf, der ihn leidenschaftlich in Anspruch nahm,
ihn noch mehr band. Er vertiefte sich in
die Feinheiten seiner Zuneigung, verschaffte sich unerhörte Wonnen
bei den Versuchen, die Berechtigung seiner Gefühle klarzulegen. Die
Bücher der Andacht zur Jungfrau entschuldigten ihn, nahmen ihn in
Schutz mit Beweisgründen, die er sich in Gebeten der Sammlung
wiederholte.
    Aus ihnen lernte er, Jesu leibeigen zu sein durch Maria. Er kam
zu Jesus durch Maria und fand allerhand Beweisgründe, Unterschiede,
zog Folgerungen: auf der Erde gehorchte Jesus Maria, so mußten alle
Menschen ihr gehorsam sein; Maria behielt in den Himmeln ihre
mütterliche Macht; sie war dort die gewaltige Verwalterin der
göttlichen Güter, die einzige, die ihm fürbittend nahen durfte, die
einzige, die Throne zu vergeben hatte; Maria, einfache Wesenheit
vor Gott, aber zu ihm erhoben, wurde so die menschliche Bindung
zwischen Himmel und Erde, die Mittlerin aller Gnaden, aller
Barmherzigkeiten. Und die Schlußfolgerung blieb immer: sie müßte
geliebt werden über alles, von allen, um Gottes willen. Dann kam es
zu theologischen Spitzfindigkeiten steilerer Art: die Hochzeit des
himmlischen Bräutigams, der Heilige Geist, der das erwählte Gefäß
besiegelt und die jungfräuliche Mutter in unendliches Wunder
verpflanzt und ihre untrübbare Reinheit der Anbetung der Menschheit
aussetzt; sie war die über alle Irrlehre siegreiche Jungfrau, des
Satans unversöhnliche Gegnerin, die neue Eva, von der geweissagt
ist, daß sie den Kopf der Schlange zertreten müsse, die erhabene
Gnadenpforte, durch die der Erlöser ein erstes Mal den Weg gefunden
hat, durch die er ein anderes Mal eingehen würde am letzten Tag,
dunkle Weissagung, Ankündigung einer erhöhteren
Machtrolle Mariens, die Sergius erträumen
ließ, irgendein übermenschliches Liebeserblühen. Dieser Einzug des
Weiblichen in den eifersüchtigen, grausamen Himmel des Alten
Testamentes, die Weiße dieses Antlitzes zu Füßen der furchtbaren
Dreifaltigkeit war für ihn die versichtbarte Gnade, das von den
Glaubensschrecknissen Erlösende, die Zuflucht seiner Menschlichkeit
in Geheimnismitten des Dogmas. Und als er sich bewiesen hatte,
Punkt für Punkt, in aller Ausführlichkeit, daß sie der Weg zu Jesus
sei, der sanfte, kürzeste, vollkommenste und sicherste Weg,
lieferte er sich ihr neuerdings aus, rückhaltlos und ohne
Gewissensqualen. Und er war bestrebt, in Wahrheit ihr andächtiger
Knecht zu sein, sich selbst abzutöten und in Unterwerfung sich zu
ergeben.
    Stunden heiliger Lust. Die Andachtsbücher zur Jungfrau brannten
in seinen Händen. Sie redeten eine Liebessprache zu ihm, aufwallend
wie Weihrauch. Maria war nicht mehr das verschleierte Mädchen, das
mit gekreuzten Armen in einiger Entfernung am Kopfende seines
Lagers stand; sie tauchte auf im Glanz, wie Johannes sie erschaute,
in Gewändern aus Sonne, mit zwölf Sternen bekrönt, unterm Fuß den
Mondbogen. Sie erfüllte ihn mit ihrem Wohlgeruch, entflammte ihn
mit Himmelsverlangen, entzückte ihn in der Glut der ihre Stirne
umflammenden Gestirne. Er warf sich

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