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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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hin vor ihr, rief sich ihren
Sklaven, und größte Süßigkeit barg das Wort Sklave; er wiederholte
es, empfand es immer köstlicher auf seinen stammelnden Lippen, je
mehr er sich zu ihren Füßen zerknirschte, um ihre Sache zu werden,
ein Nichts, Staub, berührt vom Schleier ihres blauen Gewandes. Mit
David sagte er: »Maria ist mir erfunden.« Mit dem
Evangelisten: »Ich habe sie mir erkoren
als einzigstes Gut.« »Seine teure Herrin« nannte er sie; die Worte
fehlten ihm; er stammelte wie ein Kind, wie ein Liebhaber, nichts
blieb ihm als der erregte Atem seiner Liebesglut. Sie war die
Selige, die Himmelskönigin, von den neunfachen Engelschören
besungen, die Mutter der Liebesschöne, die Köstlichkeit des Herrn.
Die lebendigen Bilder breiteten sich aus, verglichen sie einem
Paradies jungfräulichen Geländes, mit blühenden Tugendbeeten,
grünenden Hoffnungswiesen, uneinnehmbaren Türmen der Kraft,
zauberischen Wohnungen des Vertrauens. Dann war sie ein Brunnen,
verschlossen vom Heiligen Geist, ein Heiligtum, da die hochheilige
Dreifaltigkeit sich niederließ, der Thron Gottes, die Stadt Gottes,
der Altar Gottes, der Tempel Gottes. Und er wandelte in diesem
Garten, im Schatten, in der Sonne, in grünender Bezauberung, er
seufzte nach den Wässern dieses Brunnens; er hatte Wohnstatt in der
inneren Schönheit Marias; dort konnte er sich stützen, verstecken,
rückhaltlos verlieren und die niedersickernde Liebesmilch
schlürfen, die Tropfen auf Tropfen diesem jungfräulichen Busen
entströmte.
    Jeden Morgen im Seminar, gleich beim Aufstehen, begrüßte er
Maria mit hundert Verneigungen, das Antlitz zugewandt dem Streifen
Himmel, der durch sein Fenster schien; abends nahm er von ihr
Abschied mit der gleichen Zahl von Verneigungen, den Blick nach den
Sternen gerichtet. Oftmals, angesichts der ruhevollen
Nächtlichkeit, wenn Venus die lauen Lüfte durchblondete, geschah es
ihm unversehens, daß seinen Lippen das 
Ave maris
stella
 entströmte wie leiser Gesang, jene rührende Hymne,
die in Fernen vor ihm bläuliche Gestade aufdämmern ließ,
ein sanftes Meer, kaum gekräuselt von
Zärtlichkeitsschauern, überstrahlt vom Lächeln eines sonnengroßen
Sternes. Er sprach auch das 
Salve Regina
,
das 
Regina coeli, o gloriosa Domina
, alle Gebete,
alle Lobgesänge. Er las den Dienst der Jungfrau, die
Erbauungsbücher zu ihren Ehren, den kleinen Psalter des heiligen
Bonaventura, durchdrungen von so frommer Zärtlichkeit, daß Tränen
ihn am Weiterlesen hinderten. Er fastete, kasteite sich, um wunde
Leiblichkeit ihr darzubringen. Seit seinem zehnten Jahre trug er
ihre Abzeichen, das geweihte Skapulier mit dem Bildnis Marias, auf
Tuch genäht, dessen Wärme er mit heißem Erzittern auf Brust und
Rücken spürte, an der nackten Haut. Später hatte er die Kette
angelegt, um seine Liebesleibeigenschaft zu erweisen. Das
wichtigste Ereignis aber blieb immer der englische Gruß, das
Ave-Maria, das vollkommenste Gebet seines Herzens:
»Gegrüßet seist du, Maria!«
    und er sah sie auf sich zukommen, voller Gnaden, unter den
Weibern gebenedeit; er warf ihr sein Herz zu Füßen, daß sie in
Sanftmut darauf trete. Diesen Gruß vervielfachte er, wiederholte
ihn in immer anderer Weise, mühte sich, ihn immer wirksamer zu
gestalten. Zwölf Aves sprach er zum Gedächtnis der zwölfgesternten
Krone um Marias Stirn; vierzehn weitere Aves sagte er zum
Angedenken ihrer vierzehn Freudenerhebungen; sieben mal zehn sagte
er zu Ehren der erdverbrachten Jahre. Stundenlang ließ er die
Perlen des Rosenkranzes rollen. Und an manchen Tagen mystischer
Vereinigung hob ein nicht endenwollendes Geflüster der
Rosenkranzgebete an.
    Wenn er allein in seiner Zelle sich die Liebeszeit nehmen
konnte, kniete er auf dem Boden nieder, und der ganzeMariengarten wuchs um ihn her in der hohen Blüte
seiner Keuschheit. Der Rosenkranz ließ das Avegebinde durch seine
Finger gleiten, von Vaterunsern unterbrochen, wie ein Gewinde
weißer Rosen, vermischt mit den Lilien der Verkündigung, den
Blutblumen des Kalvarienberges, den Sternblüten der Krönung.
Langsam wandelte er durch die duftreichen Wege und hielt an bei
jeder Zehnreihe der fünfzehn Ave, ruhte sich aus in dem Mysterium,
das ihr entsprach; er fühlte sich durchschüttelt von Freude,
Schmerz, empfand sich in der Verklärung mit den sich entfaltenden
Mysterien, die dreifach sich teilen, in freudige, schmerzhafte,
verklärte. Unvergleichliche Legende, Lebensgeschichte Marias,
menschlich vollständiges

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