Die Sünde des Abbé Mouret
Leben mit seinem Lächeln, seinen Tränen,
seiner Überwindung, und das er durchlebte von Anfang bis Ende in
wenigen Augenblicken. Vorerst ging er ein in die Freude, die fünf
lächelnden Mysterien, gebadet in Klarheit der Morgenröte; es waren
die Begrüßung des Erzengels, ein leuchtender Strahl, der aus
Himmeln glitt und mit sich trug anbetungswürdige Ohnmacht der
fleckenlosen Einigung; der Besuch bei Elisabeth an einem klaren
Hoffnungsmorgen, zur Stunde, da die Frucht ihres Leibes Marien
erstmalig die Erschütterung brachte, die Mütter erbleichen läßt;
die Geburt im Stall zu Bethlehem, dicht umreiht von der
Hirtenschar, die kam, um die göttliche Mutterschaft zu grüßen; das
Neugeborene im Tempel, auf dem Arme der Entbundenen, die lächelt,
müde noch, aber schon beglückt, ihr Kind der Gerechtsamkeit Gottes
darzubringen, der Umarmung Simeons, der Sehnsucht der Welt; endlich
der heranwachsende Jesus, der vor den Schriftgelehrten sich
offenbart, unter denen die geängstigte Mutter ihn
wiederfindet, voller Stolz und getröstet,
dann, nach diesem Morgen, so lichtbeschienen, war es Sergius, als
ob der Himmel sich plötzlich umwölke. Er ging nur noch über Dornen,
verwundete sich die Finger an den Perlen des Rosenkranzes, bog sich
unter dem Entsetzen der fünf Mysterien des Schmerzes: Maria, die
mit ihrem Sohn leidet im Olivengarten, mit ihm die Peitschenhiebe
der Geiselung erduldet, fühlt, wie die Dornenkrone ihre eigene
Stirne zerreißt; die schreckensvolle Kreuzeslast trägt, zu seinen
Füßen auf dem Kalvarienberge stirbt.
Diese Leidensnöte, diese schauerliche Marter einer angebeteten
Königin, für die er sein Blut gegeben hätte, wie Jesus, brachten in
ihm schreckhafte Empörung hervor, die zehn Jahre der gleichen
Gebete, der gleichen Übungen nicht hatten ersticken können. Aber
weiter rollten die Perlen, plötzlich lichtete sich die Finsternis
der Kreuzigung, die leuchtende Verklärung der fünf letzten
Mysterien tat sich auf mit der Freudigkeit eines befreiten Sternes.
Maria, verklärt, sang das Halleluja der Auferstehung, den Sieg über
den Tod, das ewige Leben; sie wohnte bei mit ausgebreiteten Armen,
bewundernd zurückgebogen, dem Sieg ihres Sohnes, der zum Himmel
aufstieg in purpurbehangenen Goldgewölken; sie versammelte um sich
die Apostel, wie am Tag der Empfängnis berührt vom zündenden
Liebesgeist, niedergefahren in flammender Glut; nun wurde sie
entführt von einem Engelzug, enthoben auf weißen Fittichen gleich
einer fleckenlosen Arche, sänftiglich niedergesetzt inmitten der
Pracht göttlicher Throne; und hier als höchste Verklärung, in einer
so blendenden Gloriole, daß neben ihr die Sonne erlosch, krönte
Gott sie mit den Sternen des Firmamentes. Die Liebesleidenschaft kennt nur wenige Worte. Reihte
Sergius die hundertfünfzig Ave aneinander, so wiederholte er sich
nicht ein einziges Mal. Dies eintönige Geflüster, dies sich
unablässig wiederholende Wort, dem »ich liebe dich« der Liebespaare
vergleichbar, nahm jedesmal eine tiefere Bedeutung an; er sprach
sich endlos aus, mit Hilfe des einzigen lateinischen Satzes, ganz
erkannte er Maria, bis er sich vergehen fühlte, wenn die letzte
Perle des Rosenkranzes seiner Hand sich entwand, im Gedanken an die
Trennung.
Viele Male hatte der junge Mann derart die Nächte hingebracht,
zwanzigmal erneuerte er die zehnfachen Aves und schob den
Augenblick hinaus, der ihn Abschied nehmen hieß von seiner teuren
Herrin. Der Tag brach an, noch immer murmelte er vor sich hin. Der
Mond ließ die Sterne erblassen, redete er sich vor, um sich selbst
zu betrügen. Seine Vorgesetzten mußten ihn zur Rede stellen wegen
dieser Nachtwachen, er ging aus ihnen hervor so ermattet, so weißen
Gesichts, daß er Blut verloren zu haben schien. Lange Zeit bewahrte
er an der Wand seiner Zelle eine buntfarbene Darstellung des
heiligen Herzens Maria. Die Jungfrau schob ruhevoll lächelnd ihr
Kleidergefalt über der Brust auseinander und wies eine rote Wunde
auf ihrer Brust, in der ihr Herz brannte, schwertdurchbohrt, mit
weißen Rosen gekränzt. Dieses Schwert brachte ihn zur Verzweiflung,
es verursachte ihm das unerträglichste Entsetzen vor dem Leiden der
Frau, nur der Gedanke daran riß ihn aus aller frommen Unterwerfung.
Er löschte es aus und ließ nur stehen dies bekränzte und flammende
Herz, halb entrissen dem erlesenen Körper, um ihm dargeboten zu
werden. Da fühlte er sich geliebt. Maria schenkte ihm ihr Herz, ihr lebendiges Herz, wie es schlug
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