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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Ruhe, doch blieb er sich bewußt einer Last, die ihm das Herz
bedrückte. Die Kirche um ihn füllte sich mit Dunkel, die Lampe
schwelte, die hohen Gewächse überdüsterten das glänzend übermalte
Antlitz der großen Jungfrau.
    Als die Uhr gepreßt knirschte vor dem Stundenschlag,
durchschauerte es den Abbé Mouret.
    Er hatte nicht gefühlt, wie die Kirchenkühle ihn überfiel. Jetzt
aber zitterte er vor Kälte. Als er sich bekreuzte, durchfuhr ein
jähes Erinnern die Betäubung seines Erwachens. Sein Zähneklappern
rief ihm die auf den Steinen seiner Zelle verbrachten Nächte ins
Gedächtnis zurück, fieberdurchschüttelt angesichts des heiligen
Herzens Mariä. Schwerfällig stand er auf, zerfallen mit sich.
Gewöhnlich wandte er sich vom Altar, beruhigten Blutes, die Stirne
von der Süßigkeit Mariä umweht. Als er die Lampe nahm, um in sein
Zimmer hinaufzusteigen, war ihm in dieser Nacht zumut, als müßten
die Schläfen ihm springen; das Gebet war ohne Wirkung geblieben;
nach kurzer Erleichterung fand er sich wieder in der Hitze, die
seit morgens ihm vom Herzen zum Gehirn drängte. Als er an der
Sakristeitüre angelangt war, wendete er sich beim Herausgehen und
hob die Lampe hoch mit einer mechanischen Bewegung, ein letztes Mal
versuchte er die große Jungfrau zu sehen.
Sie war in Finsternissen versunken, die aus den Gewölben
niederdrangen, umdichtet von Blättern, über die nur das Goldkreuz
ihrer Krone sich erhob.

Kapitel 13
     
    Das Zimmer des Abbé Mouret, ein Eckzimmer des Pfarrhauses, war
ein weiter Raum, auf zwei Seiten von zwei sehr großen quadratischen
Fenstern durchbrochen; eines von diesen Fenstern öffnete sich auf
Desideratas Hof, das andere überblickte das Dorf Artaud, weiterhin
Tal und Hügel und den ganzen Horizont. Das Bett mit den gelben
Vorhängen, die Nußbaumkommode, die drei strohgeflochtenen Stühle
standen verloren unter der hohen weißkalkigen Decke. Ein
leisescharfer Geruch, jener etwas herbe Duft alten ländlichen
Gebäus, hob sich vom steinbelegten, rotbemalten Boden, der
spiegelnd glänzte. Auf der Kommode dämmerte grauweiß ein großes
Bildnis der unbefleckten Empfängnis zwischen zwei irdenen
Behältnissen, von der Teusin mit weißem Flieder gefüllt.
    Der Abbé Mouret stellte die Lampe vor die Jungfrau, an den Rand
der Kommode. Er fühlte sich so schlecht, daß er sich entschloß, das
Feuer aus fertig vorbereitetem Rebholz zu entzünden. Er verweilte
davor und besah sich die Feuerbrände, in der Hand die Feuerzange,
das Gesicht hell überflammt. Unter seinen Füßen schlief das Haus.
In der Stille, die ihm in den Ohren summte, begannen sich
flüsternde Stimmen zu regen. Langsam, unaufhaltsam erfüllten ihn
diese Stimmen, verdoppelten die Bedrängnis, die er schon am Tage
würgend am Hals verspürt hatte. Woher kam
die Bedrängnis? Wie entstand diese ungekannte Unruhe, die
unversehens angewachsen, unerträglich geworden war? Gesündigt hatte
er doch nicht. Es kam ihm vor, als hätte er gestern erst das
Seminar verlassen, in voller Glaubensstärke, so gestärkt gegen die
Welt, daß er unter den Menschen wandelte und doch nur Gott sah.
    Er glaubte sich in seine Zelle zurückversetzt, frühmorgens um
fünf Uhr, zur Aufstehenszeit.
    Der Diakon vom Dienst ging vorbei und tat einen Stockschlag
gegen die Türe mit dem vorschriftsmäßigen Ruf:
    »
Benedicamus Domino

    »
Deo gratias
!« antwortete er, halbwach und mit
schlafgeschwollenen Augen.
    Er sprang auf den schmalen Teppich, wusch sich, machte sein
Bett, fegte das Zimmer, erneuerte das Wasser seines Kruges. Die
kleinen häuslichen Arbeiten waren ihm eine Freude in der
Morgenkühle, die seine Haut überlief. Die Spatzen in den Platanen
des Hofes erwachten zur selben Zeit wie er; er lauschte ihrem
ohrenbetäubenden Geschrei und Geflatter. Sie beteten wohl nach
ihrer Weise, dachte er.
    Er ging hinunter in den Saal der Meditationen, wo er nach den
Gebeten eine halbe Stunde kniend zubrachte und über den Gedanken
des heiligen Ignatius nachdachte: »Wozu dient es dem Menschen, den
Erdkreis zu erobern, wenn er seine Seele verliert.« Dies war ein
Vorwurf, der die Früchte guter Entschlüsse trug. Auf alles irdische
Besitztum ließ er ihn verzichten und den oft liebevoll betrachteten
Wunsch hegen, sein Leben in der Wüste zu
verbringen, als einzigen Reichtum über sich die blaue Himmelsweite.
Nach zehn Minuten fingen seine von den Fliesen wunden Knie an
derart zu schmerzen, daß er sein ganzes Wesen nach und nach
hinschwinden

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