Die Sünde des Abbé Mouret
betäubte. Zu weit noch entfernt, um den
Saum ihres blauen Kleides zu küssen, fühlte er sich schon
zurücktaumeln mit dem immer neuen Begehren, wiederum diesen
übermenschlichen Genüssen zuzustreben.
Wie oft nach den gemeinsam gesprochenen Rezitationen der Litanei
war der junge Mann in diesem Zustand verblieben, mit zitternden
Knien und brennendem Kopf, wie nach einem schweren Sturz. Nach
seinem Austritt aus dem Seminar hatte der Abbé Mouret gelernt, die
Jungfrau noch inniger zu lieben. Er weihte ihr jene
leidenschaftliche Verehrung, in der Bruder Archangias den Atem der
Irrlehre witterte. Nach seiner Anschauung mußte sie die Kirche retten, durch irgendein unermeßliches
Wunder, dessen bevorstehende Erscheinung die Erde bezaubern werde.
Das einzig Wunderbare war sie in unserer ungläubigen Zeit, die
blaue Dame der kleinen Hirten, nächtliche Weiße zwischen Gewölk,
deren Schleiersäume über Hüttendächer schleiften. Fragte Bruder
Archangias ihn grob, ob er sie je gesehen habe, begnügte, er sich
zu lächeln mit aufeinandergepreßten Lippen, wie um sein Geheimnis
zu bewahren. In Wahrheit erblickte er sie allnächtlich. Nicht als
schwesterliche Gespielin zeigte sie sich ihm mehr, nicht als
hingebendes junges Mädchen; bräutliche Gewänder trug sie, weiße
Blumen im Haar, aus ihren halbgeschlossenen Augen flossen
hoffnungsfeuchte Blicke, die die Wangen überlichteten. Und er
fühlte genau, sie kam zu ihm, sie versprach ihm, nicht länger zu
verziehen, sie sagte zu ihm: »Hier bin ich, nimm mich auf.« Dreimal
des Tages beim Läuten des Angelus, im Morgengrauen, in der
Mittagreife, in der Zeit des sinkenden Abends, entblößte er sein
Haupt, sprach ein Ave, ließ den Blick in die Runde wandern, um zu
sehen, ob nicht endlich die Glocke Mariens Ankunft eingeläutet
habe. Fünfundzwanzig Jahre zählte er nun, er erwartete sie.
Im Maimonat war die Erwartung des jungen Priesters voll
hoffenden Glücks. Selbst das Gezänk der Teusin belastete ihn nicht
mehr. Wenn er so spät noch in der Kirche betete, war es in der
irren Hoffnung, die große übergoldete Jungfrau stiege doch einmal
nieder. Und trotzdem empfand er Scheu vor ihr, dieser
prinzessinnenhaften Gestalt. Nicht gleichermaßen liebte er alle
Bildnisse der Jungfrau. Diese ließ ihn erstarren in höchster
Ehrfurcht. Sie war die Gottesmutter; sie hatte die Fruchtweite,
das erhabene Antlitz, die kraftvollen Arme
der Gottgemahlin, die Jesus trägt. So stellte er sie sich vor
inmitten des himmlischen Hofhaltes, wie sie zwischen Sternen
hinschweifen läßt den schleppend königlichen Mantel, für ihn zu
hoch, zu machtvoll, in Staub zerfiele er, geruhte sie den Blick in
den seinen abgleiten zu lassen. Sie war die Jungfrau seiner
schwachen Tage, die strenge Jungfrau, die ihm inneren Frieden
verlieh zum schreckhaften Betrachten des Paradieses.
An diesem Abend verbrachte der Abbé Mouret mehr als eine Stunde
kniend in der leeren Kirche. Mit gefalteten Händen, den Blick auf
die Goldjungfrau gerichtet, die sternhaft im Grünen stand, suchte
er ekstatische Dämpfung, Beruhigung der merkwürdigen Beschwerde,
die er tagsüber empfunden hatte. Aber er glitt nicht in den
Gebethalbschlaf mit jener glücklichen Leichtigkeit, die er gewöhnt
war. Die Mutterschaft Marias, so rein und verklärt sie sich auch
darbot, die Gestaltfülle der reifen Frau, das nackte Kind auf ihrem
Arm beunruhigten ihn, schienen ihm im Himmel weiterzutragen das
überquellende Zeugungsdrängen, das er seit morgens auf Schritt und
Tritt an seinem Wege fand. Gleich den Weinstöcken der steinigen
Halden, gleich den Bäumen im Paradies, gleich der Herde Menschen im
Artaud wies sie Entfaltung, zeugte Leben. Und träge wurde das Gebet
auf seinen Lippen; er ließ sich ablenken und sah Dinge, die er noch
nicht beachtet hatte, den Bogen des kastanienbraunen Haares, das
zart geschwellte Kinn. Da mußte sie größere Strenge zeigen, mußte
ihn vernichten mit dem Glanz ihrer Allmacht, um ihn zur
unterbrochenen Gebetzeile zurückzuführen. Ihr goldener Mantel, ihre
goldene Krone, all das Gold, das ihr das
Ansehen gab einer furchtgebietenden Fürstin, vermochte schließlich
ihn in knechtischer Unterwerfung niederzubiegen, das Gebet entfloß
eintönig seinen Lippen. Der Geist verlor sich in ungeteilten
Anbetungen. Bis elf Uhr schlief er wachend in Entzückenslähmung,
fühlte seine Knie nicht mehr; ihm war, als schwebte er, als würde
er gewiegt wie ein Kind, das man einschläfert; er ließ sich gleiten
in die
Weitere Kostenlose Bücher