Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
allen deinen Gliedern träuft. Das
reine Wunder der Ewigkeit bist du. Dein Stamm ist strahlentstanden
wie ein Wunderbaum, den kein Samenkorn säte. Jesus, dein Sohn, ist
aus dem Hauch Gottes hervorgegangen; du selbst wurdest geboren ohne
Verunglimpfung des Leibes deiner Mutter, und mir ist zumut, als
reichte diese Jungfräulichkeit zurück von Menschenalter zu
Menschenalter, in einem unermeßlichen Unberührtsein von allem
Fleischlichen. Oh! Leben, aufwachen, weit von der Schande der
Sinnenwelt! Oh, sich mehren, Kinder in die Welt setzen ohne die
Schrecken der Geschlechtlichkeit, einzig durch das Nahen küssenden
Himmels.«
    Dieser Verzweiflungsruf, dieser begierdefreie Aufschrei hatte
den jungen Priester etwas beruhigt. In gänzlicher Weiße, den Blick
himmelwärts gewandt, schien die Jungfrau sanfter noch zu lächeln
aus ihrem schmalen, blaßroten Munde. Mit bewegter Stimme fuhr er
fort:
    »Ein Kind möchte ich wieder sein. Nie möchte ich etwas anderes
sein dürfen, als ein in deinem Schatten wandelndes Kind, das
beschattet von deiner Gewandung dahingeht. Als ich noch ganz klein war, faltete ich die Hände
und sagte den Namen Maria. Mein Wiegenbett war weiß, mein Leib war
weiß, all mein Denken war weiß. Ich sah dich deutlich, ich hörte
dein Rufen, lächelnd ging ich auf dich zu über ausgestreute
Rosenblätter. Anderes gab es nicht, ich dachte nicht, lebte gerade
genügend, um eine Blume zu sein, zu deinen Füßen. Man sollte nicht
heranwachsen. Dann hättest du um dich nichts als Blondköpfe, ein
Kindervölkchen, das dich liebte mit reinen Händen, rosigen Lippen,
zarten Gliedern, unbefleckt, wie einem Milchbad entstiegen. Man
küßt auf der Wange eines Kindes seine Seele. Nur ein Kind vermag
deinen Namen zu nennen, ohne ihn zu besudeln. Später verdirbt der
Mund und riecht nach Leidenschaft. Ich selbst, der dich so innig
liebt, der sich dir geschenkt hat, ich wage nicht, zu jeder Stunde
dich anzurufen, weil ich nicht will, daß meine Männerunlauterkeit
dich trifft. Ich habe gebetet, mein Fleisch kasteit, ich habe in
deiner Hut geschlafen, keusch gelebt; und ich vergieße Tränen, weil
ich sehe, daß ich der Welt noch nicht genugsam abgestorben bin, um
dein Verlobter zu sein. O Maria, anbetungswürdige Jungfrau, warum
bin ich nicht fünfjährig, warum blieb ich nicht das Kind, das seine
Lippen auf dein Bildnis preßte! Auf dem Herzen wollte ich dich
tragen, an meine Seite betten, wie eine Freundin küßte ich dich,
wie eine gleichalterige Freundin. Ich hätte wie du ein gerades
Kleid, einen kindlichen Schleier, die blaue Schärpe, die ganze
Kindlichkeit, die dich zu einer großen Schwester macht. Ich würde
nicht versuchen, deine Haare zu küssen, denn das Haar ist eine
Nacktheit, die nicht betrachtet werden soll; aber deine bloßen Füße
würde ich küssen, einen nach dem anderen,
ganze Nichte lang, bis ich mit meinen Lippen die Goldrosen
entblättert hätte, die mystischen Rosen unseres Geäders.«
    Er schwieg und erwartete, daß die Jungfrau den blauen Blick
senkte, mit dem Schleier ihm die Stirne rührte, aber sie hielt sich
bis zum Hals dicht umschleiert, bis zu den Fingerspitzen, zu den
Füßen, ganz dem Himmel gehörig, in der Aufgerichtetheit des
Körpers, die sie schmächtig erscheinen ließ, ganz losgelöst vom
Irdischen. –
    »Sei gut,« fuhr er wilder fort, »mach mich wieder zum Kind,
gütige Jungfrau, mächtige Jungfrau. Laß mich wieder fünf Jahre alt
sein. Nimm mir meine Sinne, meine Männlichkeit. Laß ein Wunder das
ganze, in mir emporgeschossene Mannestum fortschwemmen. Du
beherrschst den Himmel, es ist dir ein Leichtes, mich
niederzuschlagen, meine Glieder einzutrocknen, mich geschlechtlos,
unfähig zum Bösen zu machen, und so kraftlos, daß ich ohne dich
keinen Finger rühren kann. Unschuldig will ich sein, von jener
Klarheit, die dir eigen ist, nichts Irdisches soll mich erbeben
lassen. Ich will keinerlei Empfindung mehr haben, weder von meinen
Nerven, noch von meinen Muskeln, noch vom Schlagen meines Herzens,
dem Trieb meiner Begierden. Ich will eine Sache sein, ein weißer
Stein zu deinen Füßen, dem du etwas Atem lassest, der sich nicht
rührt von der Stelle, wo du ihn hingeschleudert hast, gehörlos,
augenlos, zufrieden, unter deiner Ferse zu liegen mit den anderen
Steinen, nicht an Unrat denken zu müssen. Oh, welche Seligkeit!
Mühelos erreichte ich so mit einem Schlag die erträumte
Vollkommenheit. Dann endlich könnte ich mich als dein wahrer
Priester ausgeben. Ich wäre

Weitere Kostenlose Bücher