Die Sünde des Abbé Mouret
»
De rebus veneris ad usum confessariorum
«.
Schluchzend, entsetzt ging er aus der Lektüre hervor. Diese
gelehrte Einteilung des Lasters, die Darlegung menschlicher Greuel,
die hinabstiegen bis zu den Fällen widernatürlicher Leidenschaften,
vergewaltigte gröblich seine körperliche und geistige
Unberührtheit. Er blieb betrübt wie eine Braut, die von einer
Stunde zur anderen in die Liebesgewaltsamkeiten eingeführt wird.
Und selbstverständlich mußte er jedesmal zurückgreifen auf diese
beschämenden Schandfragen, wenn er Beichte hörte. Wenn die
Unklarheiten des Dogmas, die priesterlichen Pflichten, das
Absterben jeglicher freien Willensäußerung ihn nicht aus dem
Gleichgewicht brachten, ihn in seiner beglückten Gotteskindschaft
ließen, so war doch ihm selbst zum Trotz die Sinneserschütterung
verblieben von jenem Schmutz, den er durchwühlen mußte; er blieb
sich bewußt einer unauslöschlichen Befleckung, irgendwo, in der
Tiefe seines Wesens, die eines Tages anwachsen könnte und ihn im
Morast ersticken.
Hinter Garrigues hob sich der Mond. Der Abbé Mouret im wachsenden Fieber öffnete das Fenster,
stützte sich mit den Ellbogen auf, um sein Gesicht zu baden in
nächtlicher Kühle. Er entsann sich nicht mehr genau, wann dies
Übelbefinden ihn überkommen hatte. Wohl aber entsann er sich, daß
er am Morgen bei der Messe sich wohl und ausgeruht fühlte. Es war
wohl später gekommen, vielleicht bei dem langen Weg in der Sonne
oder unterm Baumrauschen des Paradeis, der Stickluft von
Desideratas Wirtschaftshof. Er ließ den Tag an sich vorüberziehen.
Vor ihm erstreckte sich die weite Ebene, trauervoller noch unter
den blassen Mondesstrahlen. Die Oliven, Mandelbäume, mageren
Baumstämme bildeten graue Inseln inmitten der Wüstenei grauer
Felsblöcke bis zum dunklen Streif der horizontbegrenzenden
Hügelkette. Weite Schattenflächen waren zu sehen, gebuckelte
Steinaderungen, blutigrote Erdlachen, die rote Sternblicke zu
spiegeln schienen, kreidige Weiße, wie ausgezogene weibliche
Kleidungsstücke, die in Finsternis gebadete Körper entblößten,
eingebettet in Geländesenkungen. Bei Nacht bekam dies glühende Land
das Aussehen einer eigenartig leidenschaftlichen Hingegossenheit.
In Zerrissenheit, Verrenkung und Wirrnis schlief es mit gespreizten
Gliedern, und lautief entströmten ihm schwere Düfte einer heißen
Schläferin. Wie eine kraftvolle Cybele, rücklings niedergestreckt
mit vorgereckter Brust, den Leib unterm Mond, trunken von
Sonnengluten und immer noch von Befruchtung träumend. In der Ferne,
entlang an diesem großen Körper, verfolgte der Blick des Abbé
Mouret den Weg nach den Olivettes, dessen blaßschmales Band sich
dahinwand wie die flatternden Schnürsenkel eines Mieders. Er sah
wieder, wie Bruder Archangias den Mädchen
nachlief, ihnen die Röcke hob und sie blutig schlug, sah ihn dann
den Mädchen ins Gesicht spucken, selbst den Gestank eines Bockes,
der sich befriedigt, verbreitend. Er sah die Rosalie versteckt
lächeln mit tierhaft unzüchtigem Ausdruck, während Vater Bambousse
ihr Erdschollen nachwarf. Auch da noch war es ihm gut gegangen,
kaum daß der sonnige Tag ihm den Nacken hitzte. Er spürte nichts
als eine unbestimmte Bewegung hinter seinem Rücken, jenes
Lebensraunen, das er undeutlich vernommen hatte vom Morgen an, bei
der Messe, als die Sonne durch die geborstenen Fenster drang. Nie
wie jetzt zu dieser nächtlichen Stunde hatte ihn die Landschaft
bedrängt, mit ihrer Riesenbrust, den weichen Schultern, dem
bernsteinfarbenen Hautglanz, der ganzen göttinnenhaften Nacktheit,
kaum verhüllt von sanft silbrigen Mondmusselinen.
Der junge Priester senkte den Blick und betrachtete das Dorf
Artaud. Es lag im Schlaf schwerer Ermüdung, der gänzlichen
Ausgelöschtheit bäuerlichen Schlafes. Nirgends ein Licht. Die
Baulichkeiten standen als schwarze Massen, durchschnitten von den
sich kreuzenden weißen Stegen, durch die das Mondlicht floß. Sogar
die Hunde schnarchten wohl auf den Schwellen der geschlossenen
Türen. Hatte das Artaud vielleicht die Pfarre verpestet mit
schauderhafter Seuchenplage? Hinter sich hörte er stetig anwachsend
jenes Rauschen, dessen Näherkommen ihn so mit Angst erfüllte. Jetzt
war es ihm wie das Getrappel einer Herde, ein Staubwirbel, der ihm
die Ausdünstungen einer Tierschar zutrug. Seine morgendlichen
Überlegungen kamen ihm wieder, über diese Handvoll Leute, die wie
im Anbeginn der Zeiten lebten, zwischen demFelsgetürm wuchernd, gleich einer
Weitere Kostenlose Bücher