Die Sünde des Abbé Mouret
Handvoll Disteln,
von Winden gesät; es war ihm, als sei er Zeuge des langsamen
Erwachsens einer Rasse. Als Kind erstaunte und entsetzte ihn nichts
mehr als die Myriaden Insekten, die er den Spalten entkriechen sah,
beim Aufheben feuchten Gesteins. Das Artaud, schlafend sogar, in
Schattentiefen ermattet, beunruhigte ihn mit erdrückendem Atem, den
er aus der Luft um sich einsog.
Er hätte sich unter seinem Fenster nichts als Felsen gewünscht.
Das Dorf war nicht erstorben genug, die Hüttendächer blähten sich
wie Brüste, aus den rissigen Türen drang Seufzen, leises Knirschen,
ein lebenerfülltes Schweigen, das von wimmelnder Anwesenheit in
diesen Verstecken kündete, nachtschwarz gewiegt. Zweifelsohne war
es dieser Schwaden, der ihm Übelkeit verursachte. Er hatte ihn zwar
oft gleich stark eingeatmet, ohne anderes zu bedürfen als
Gebeterfrischung.
Mit feuchten Schläfen ging er zum anderen Fenster und öffnete
es, im Drang nach bewegter Luft. Links unten zog sich der Kirchhof
hin mit der hohen Zeile der Einsiedlerzypresse; kein Lufthauch
erhob sich, vom kahlen Acker stieg der Geruch frischgemähter Wiese.
Die große, graue Kirchhofsmauer, eidechsenüberlaufen und
levkoienüberwachsen, wurde vom Mondlicht angekältet; während eines
der großen Fenster aufglänzte, und die Scheiben schienen wie
Stahlplatten. In der schlafenden Kirche lebte zu dieser Stunde wohl
nur das außermenschliche Sein des Hostiengottes, verschlossen im
Tabernakel. Er gedachte des goldenen Scheins der ewigen Lampe, den
die Schatten bedrängten, und war versucht herunterzusteigen, um
seinen schmerzenden Kopf inmitten dieser reinen makellosen
Finsternis zu kühlen. Aber eine seltsame
Furcht hielt ihn zurück: er vermeinte plötzlich, nach den
monderleuchteten Scheiben schauend, zu sehen, wie die Kirche von
innen heraus zu leuchten begann in der Gluthitze höllischen
Festglanzes. Der ganze Mai, Pflanzen, Tiere zeigte sich dort, die
Mädchen aus Artaud, Bäume wild mit nackten Armen umschlingend. Dann
sah er, sich vorbeugend, in Desideratas Hof, der in Schwärze
dampfte. Er vermochte nicht deutlich die Kaninchenställe zu
unterscheiden, die Hühnerställe, das Entenhaus. All dies war
aufgeschichtet in dem Gestank und ruhte in der gleichen verdorbenen
Luft. Unter der Stalltüre drang der scharfe Geruch der Ziege
hervor. Das kleine Schwein, auf den Rücken gewälzt, schnarchte fett
neben geleertem Trog. Aus seiner Kupferkehle stieß der große,
fahlrote Hahn Alexander einen Schrei aus, der in der Ferne, einen
nach dem anderen, die leidenschaftlichen Anrufe sämtlicher
Dorfhähne weckte.
Urplötzlich fiel es dem Abbé Mouret ein: das Fieber, dessen
Verfolgung er spürte, hatte ihn überfallen in Desideratas Hof,
angesichts der brutwarmen Hennen und der Kaninchenmütter mit
ausgerissenem Bauchflaum. Das Gefühl eines Atems in seinem Nacken
war so deutlich, daß er sich wenden mußte, um endlich zu sehen, wer
ihm derart im Nacken fauchte. Und Albine kam ihm in den Sinn, wie
sie dem Paradeis entsprang, wie die Türe zuschlug vor dem
auftauchenden Zaubergarten; er entsann sich ihres Laufes an der
endlosen Mauer entlang, dem Wagen nach, Birkenblätter in den Wind
streuend, wie ebenso viele Küsse; weiter fiel ihm ein, wie sie in
der Dämmerung über die Flüche Bruder Archangias' gelacht hatte, am
Boden hinstreifend mit den Röcken, einer kleinen Staubwolke vergleichbar, vom Abendwind aufgetrieben.
Sechzehn Jahre war sie alt; eigenartig war sie mit ihrem etwas
langen Gesicht; sie duftete nach frischer Luft, Grün und Erde. Und
so genau war sie ihm im Gedächtnis, daß er sich einer Schramme
erinnerte an einem ihrer geschmeidigen Handgelenke, rosig auf der
weißen Haut. Warum lachte sie denn derart, als sie ihn blauäugig
betrachtete? Er war gefangen in ihrem Lachen wie in einer
klingenden Flut, die gegen ihn brandete; er atmete sie ein, fühlte
sie in sich erzittern. Ja, all sein Elend kam von dem Lachen, das
er getrunken hatte.
In der Mitte des Zimmers stehend, bei offenen Fenstern, schlugen
ihm die Zähne aufeinander, von einer Furcht ergriffen, die ihn den
Kopf in den Händen bergen ließ. Der ganze Tageslauf gipfelte in
dieser Beschwörung eines blonden Mädchens mit länglichem Gesicht
und blauen Augen. Und die ganzen Tagerlebnisse drangen zu den
Fenstern hinein. Da waren in der Ferne die heißroten Erden, die
leidenschaftlichen Felsstürze, steinentsproßten Oliven,
Rebenstöcke, die ihre Äste an den Wegwänden wanden, in größerer
Nähe
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