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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Arzneien? Sag? Deine Hand genügt
mir, siehst du. Ich bin hierhergekommen, damit du sie so hinlegst
unter meinen Kopf.«
    »Lieber Sergius,« sagte Albine leise, »du hast sehr leiden
müssen, nicht wahr?«
    – »Leiden? Doch, doch; aber das ist lange her… ich habe schlecht
geschlafen und schreckliche Träume gehabt. Wenn ich es
fertigbrächte, spräche ich dir von alledem.«
    Er schloß eine Zeitlang die Augen und durchforschte angestrengt
sein Gedächtnis. »Nur Schwarzes sehe ich,« sagte er abgerissen. »Es
ist sonderbar, ich kehre von einer weiten Reise zurück. Ich weiß
nicht einmal mehr, woher ich komme. Ich hatte Fieber, ein Fieber,
das mir durch die Adern raste wie ein Tier… Ja, so ist's! Jetzt
fällt es mir ein. Immer wieder träumte ich das gleiche im Fieber,
ein endloses unterirdisches Gewölbe mußte ich entlang kriechen.
Manchmal, wenn ich große Schmerzen hatte, vermauerte sich das
Gewölbe plötzlich: ein Regen von Steinen fiel von oben herab, die
Seitenwandungen verengten sich, ich keuchte in der Raserei des
Hindurchwollens, drang ein in das Hindernis und arbeitete mich ab
mit Händen, Füßen und Schädel, im verzweifelnden Gefühl, nie aus
diesen immer dichter stürzenden Trümmern zu kommen … Manchmal
wieder genügte ein Fingerdruck, um alles aus dem Weg zu räumen,
ungehindert vermochte ich hindurchzudringen, die erweiterten
Galerien zu durchwandern und nichts blieb
von allem zurück, als Müdigkeit nach der Erregung.« –
    Albine wollte ihm den Mund mit der Hand schließen.
    »Nein, es ermüdet mich nicht, zu sprechen. Du siehst ja, ich
spreche dir ins Ohr, und es ist, als ob ich denke und du mich
verstehst. Das Verwunderlichste war bei meinen unterirdischen
Erlebnissen, daß mir nie der Einfall gekommen wäre, umzukehren;
eigensinnig hielt ich stand, wenn mir auch schien, Tausende von
Jahren müßten vergehen, ehe auch nur eine einzige dieser Wände zum
Stürzen gebracht werden könnte. Aber es war eine unumgängliche
Aufgabe, der ich mich unterziehen mußte, um größeren Schrecknissen
zu entgehen. Mit der Stirn stieß ich an Felsen, meine Knie waren
zerschunden, trotzdem mußte ich in angsterfüllter
Gewissenhaftigkeit all meine Kräfte daransetzen, so schnell wie
möglich ans Ziel zu gelangen. An welches Ziel? Ich weiß es nicht
mehr, ich weiß es nicht mehr… «
    Träumerisch schloß er die Augen und dachte nach, dann schmiegte
er sich wieder über Albines Hand, sagte lächelnd: »Wirklich dumm
bin ich, wie ein kleines Kind.«
    Das junge Mädchen aber, um zu erfahren, ob er ihr wirklich ganz
gehöre, fragte ihn aus, versuchte ihn zu den wirren Erinnerungen
zurückzubringen, die er heraufzubeschwören versuchte; er hatte das
Gedächtnis verloren und lebte wirklich in glücklicher
Kindhaftigkeit … Er wähnte sich abends zuvor erst zur Welt
gekommen.
    »Oh, ich bin noch nicht kräftig,« sagte er. »Siehst du, meine
früheste Erinnerung ist, daß ich im Bett lag, mein ganzer Körper
brannte, mein Kopf rollte auf dem Kopfkissen umher wie auf
glühendem Rost; unaufhörlich rieb sich ein
Fuß an den anderen, bis die Haut platzte. Ja, ich war sehr krank
gewesen! Es war, als ob mein Körper erneuert, alles herausgenommen
und geflickt würde wie bei einem Uhrwerk, das zerbrochen ist.« Er
mußte hierüber wieder lachen. Dann fuhr er fort: »Ganz neu werde
ich sein, die Krankheit hat gründlich in mir aufgeräumt. – Was
fragtest du mich gerade? Nein, niemand war da. Ganz allein quälte
ich mich, tief unten in einer schwarzen Höhle. Darüber hinaus weiß
ich von nichts, kann ich nichts mehr erkennen … Willst du, daß
ich dein Kind bin? Du wirst mich gehen lehren. Ich sehe jetzt nur
dich. Alles ist mir gleichgültig, außer dir. Von nichts will ich
mehr etwas wissen, sag ich dir. Ich bin gekommen, du hast mich
aufgenommen, das genügt mir.« Dann sagte er noch befriedigt und
zärtlich: »Deine Hand ist jetzt warm; sie ist lieb wie die Sonne…
Wir wollen still sein, ich wärme mich.« Schweigen bebte aus der
Deckenbläue nieder in das weite Zimmer. Die Spirituslampe war
ausgegangen, und dem Teekessel entwich ein immer dünnerer
Rauchstrahl. Den Kopf auf das gleiche Kissen gebettet, betrachteten
Albine und Sergius die großen fensterverhüllenden Kattunvorhänge.
Zumal Sergius' Augen wanderten dorthin wie zu der weißen Quelle
allen Lichtes. Sanft ließ er sich überspülen von blassem, seinen
noch schwachen Kräften angepaßtem Tagesschein.
    Dort, wo die Kattunvorhänge gelblicher

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