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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Er sah ihn kommen aus den belebten Tiefen
der Allee, von den goldtrunkenen Wiesen her, rosig und so voll
Heiterkeit, daß sein Lächeln über den Weg hin leuchtete, in der
Ferne zuerst wie ein helles Schimmern, dann in wenigen Sätzen
Sonnenpracht selber. Und der Morgen überflutete den Maulbeerbaum,
an dem Sergius lehnte.
    Sergius kam zur Welt inmitten der Morgenkindheit.
    »Sergius! Sergius!« rief Albines Stimme hinter den hohen
Sträuchern des Blumengartens hervor. »Hab' keine Angst, ich bin
da.«
    Aber Sergius hatte keine Angst mehr. Im vollen Sonnenglanz kam
er zur Welt, von reinem Licht umspült. Er kam zur Welt mit
fünfundzwanzig Jahren, seine Sinne erwachten urplötzlich, der große
Himmel, die glückliche Erde, die weiten Horizonte entzückten ihn.
Der Garten, den er gestern noch nicht kannte, war ihm ein
unerhörter Genuß. Alles erfüllte ihn mit Wonne, die feinsten
Grashalme, sogar die Steine am Weg, bis auf den unsichtbaren Wind,
der ihm die Wangen streichelte. Mit seiner ganzen Körperlichkeit
ergriff er Besitz von diesem Stück Erde, nahm es ganz in sich auf;
seine Lippen tranken es, seine Nüstern schnoben es ein; er bewahrte
es in seinen Ohren, versteckte es auf dem Grund seiner Augen. Es
gehörte ihm. Die Rosen im Garten, die hochschwebenden Äste, die
aufstrebenden Baumstämme, klingenden Felsen, stürzenden Quellen,
die lichtährenbestandenen Sonnenfelder, alles gehörte ihm. Dann schloß er die Augen, um sich die
Lust zu verschaffen, sie langsam, langsam wieder zu öffnen, zum
zweiten Male lichtfroh zu erwachen. Albine kam entsetzt angelaufen
und sagte: »Die Vögel haben alle Erdbeeren aufgefressen. Da, nur
die zwei haben sie übriggelassen.«
    Aber sie hielt einige Schritte vor Sergius an und betrachtete
ihn bewegten Herzens in entzücktem Erstaunen.
    »Wie schön du bist,« sagte sie. Ganz versunken in seinen Anblick
kam sie näher und murmelte:
    »So habe ich dich nie gesehen.«
    Er schien gewachsen zu sein. Aufrecht stand er in seinem weiten
Anzug, schlank gewachsen, noch etwas mager, mit gewölbter Brust und
runden Schultern. Sein weißer, am Nacken bräunlich schimmernder
Hals bewegte sich frei und trug stolz den Kopf. Gesundheit, Kraft
und Stärke malten sich auf seinem Antlitz. Die Züge ruhten, der
sanfternste Mund, die festumrissenen Wangen, die große Nase, die
sehr hellen gebietend grauen Augen; er lächelte nicht. Sein langes,
den ganzen Schädel bedeckendes Haar fiel ihm in schwarzen Locken
auf die Schultern. Leichter Bartflaum umkräuselte Lippen und Kinn
über weißer Haut.
    »Du bist schön, du bist schön!« wiederholte Albine, sich langsam
vor ihm niederkauernd, und hob liebkosende Blicke zu ihm.
    »Warum aber schmollst du jetzt mit mir? Warum redest du nicht
mit mir?«
    Er stand und gab keine Antwort. Sein Auge richtete sich in die
Ferne, er sah fort über das Mädchen zu seinen Füßen, sagte vor sich
hin in die Sonne:
    »Wie das Licht gut ist!«
    Es war, als ob diese Worte der Sonne selbst
entbebten. Wie ein tönender Hauch, kaum
ein Murmeln, verlauteten sie, ein Beben lebendiger Wärme.
    Seit mehreren Tagen schon hatte Albine Sergius' Stimme nicht
mehr gehört. Auch diese fand sie, wie ihn selbst, verändert. Es kam
ihr vor, als vertönte sie im Park, süßer als Vogelschlag,
zwingender als der zweigebiegende Wind. Gebieterisch war sie und
königlich. Der ganze Garten hatte sie vernommen, war sie auch nur
als Hauch vorübergeglitten, und der ganze Garten erzitterte in der
Fröhlichkeit, die sie ihm bescherte.
    »Sprich zu mir,« bat Albine. »Noch nie hast du mit dieser Stimme
zu mir geredet. Oben im Zimmer, als du noch nicht verstummt warst,
gabst du ein Kindeslallen von dir … Woher kommt wohl, daß ich
deine Stimme nicht wiedererkenne? Vorhin war mir, als sänge deine
Stimme aus den Bäumen, als klinge der ganze Garten sie mir zu, als
sei sie einer jener tiefen Seufzer, die mich in der Nacht
ängstigten vor deinem Kommen … Alles schweigt und will dich
wieder sprechen hören.«
    Er schien ihre Anwesenheit nicht zu bemerken. Noch zärtlicher
sagte sie:
    »Nein sprich nicht, wenn dich das ermüdet. Setz' dich neben
mich. Wir wollen auf dem Rasen bleiben bis Mittag … und sieh
doch, nur zwei Erdbeeren habe ich gefunden. Und wie hab' ich mich
angestrengt. Die Vögel fressen alles. Eine ist für dich, beide,
wenn du willst; oder wir teilen sie, kosten von jeder… Du wirst
danke sagen, und ich werde deine Stimme hören.«
    Er wollte nichts von dem Rasen und den

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