Die Sünde des Abbé Mouret
zu
seiner Beruhigung zu finden.
»So ist das Paradeis nicht so schön wie du gedacht hattest?«
fragte sie.
Er hob das Gesicht und erwiderte: »Ich weiß nicht mehr; anfangs
war es ganz klein, und auf einmal wird es immer größer und
größer … Führe mich fort. Verstecke mich.« Sie brachte ihn zu
Bett und versuchte ihn wie ein Kind mit einer Lüge zu
beruhigen.
»Also wirklich, nein, es ist ja gar nicht wahr, daß es einen
Garten gibt; ich habe dir Märchen erzählt. Schlafe ruhig ein …
«
Kapitel 5
Täglich ließ sie ihn so, in den kühlen Stunden, am Fenster
sitzen. An den Möbeln Halt suchend, begann er Gehversuche zu
machen. Seine Wangen überflog rosiger Schein, und seine Hände
verloren die wächserne Durchsichtigkeit. In dieser Genesungszeit
aber erlahmten seine Sinne derart, daß er in pflanzliches
Dahinleben neugeborener Kinder verfiel. Eine Pflanze war er,
empfänglich nur für die umgebenden Lüfte. Er blieb in sich
verschlossen, zu arm an Blut noch, um sich auszugeben; er wurzelte
am Boden, um seinen Körper alle Säfte aufnehmen zu lassen. Eine
zweite Empfängnis war es, ein langsames Auskriechen aus
frühlingswarmem Ei. Albine, die sich gewisser Worte des Doktor
Pascal erinnerte, stand große Ängste aus, wenn sie sehen mußte, wie
er kindisch, stumpf und einfältig blieb. Sie hatte davon reden
gehört, wie manche Krankheiten Wahnsinn als Heilung hinterließen.
Und Stunden brachte sie damit zu, ihn zu beobachten. Wie die Mütter
versuchte sie mit einem Lächeln ein Lächeln zu entlocken. Lachen
konnte er noch nicht. Fuhr sie ihm mit der Hand vor den Augen
vorüber, bemerkte er es nicht und verfolgte den Schatten nicht mit
dem Blick. Kaum daß er, wenn sie mit ihm sprach, den Kopf leicht
nach der Seite wandte, von der das Geräusch tönte. Einen einzigen
Trost hatte sie: ein schönes Kind war er und wuchs prächtig.
Eine Woche verging in zarter Sorge. Geduldig erwartete sie sein
Heranwachsen. In dem Maße, wie sie größere Lebhaftigkeit
feststellen konnte, beruhigte sie sich und hoffte, daß die Zeit ihn
wieder zum Manne wandeln würde. Ein leises
Aufflackern war es, wenn sie ihn anrührte, dann, eines Abends kam
ihm ein leises Lachen. Nachdem sie ihn am nächsten Tag ans Fenster
gesetzt hatte, ging sie hinunter in den Garten, lief auf und nieder
und rief ihn an. Sie verschwand unter Bäumen, durchkreuzte
Sonnenstreifen, kam händeklatschend zurück. Es flimmerte ihm vor
den Augen; vorerst sah er sie nicht. Als sie aber ihren Lauf wieder
aufnahm und wiederum Versteck spielte, aus jedem Gebüsch rufend
emportauchte, da begann sein Blick schließlich der Helligkeit ihres
weißen Kleides zu folgen. Und als sie plötzlich unter dem Fenster
stehenblieb und das Gesicht zu ihm hob, streckte er die Arme nach
ihr aus und machte Miene, auf sie zuzugehen. Sie kam wieder herauf
und küßte ihn voller Stolz.
»Ach, du hast mich gesehen, du hast mich gesehen! Nicht wahr, du
möchtest gerne mit mir in den Garten gehen? Wenn du wüßtest, wie du
mich seit einigen Tagen zur Verzweiflung bringst, weil du dich so
dumm anstellst, nicht hören und sehen willst.«
Ängstlich bog er den Hals zur Seite und schien ihr zuzuhören mit
einem Ausdruck leisen Leidens.
»Und doch geht es dir besser,« fuhr sie fort. »Wenn du willst,
bist du jetzt kräftig genug, um herunterzukommen … Warum
redest du nicht mehr mit mir? Hast du denn die Sprache verloren?
Ach, was für ein böser Junge! Ich werde ihn noch sprechen lehren
müssen!«
Und wirklich belustigte sie sich damit, ihm die Namen der
Gegenstände, die er berührte, zu nennen. Er gab nur ein Gestammel
von sich, verdoppelte die Silben und sprach kein Wort deutlich aus.
Immerhin begann sie ihn im Zimmer umherzuführen. Sie stützte ihn
und brachte ihn so vom Bett zum Fenster.
Eine weite Reise war es, zwei- oder dreimal fiel er fast hin auf
dem Weg, worüber sie ins Lachen geriet. Einmal fiel er hin, und mit
tausend Schwierigkeiten mußte sie ihn wieder aufheben. Dann ließ
sie ihn das Zimmer umschreiten, auf Sofa, Sesseln und Stühlen ruhte
er sich aus, und zum Umkreisen dieser kleinen Bahn gebrauchte man
eine Stunde. Endlich konnte er das Wagnis unternehmen, einige
Schritte allein zu tun. Sie stellte sich vor ihn mit ausgestreckten
Händen und ging, seinen Namen rufend, zurück, so daß er das Zimmer
durchschritt, um die Stütze ihrer Arme wieder zu erreichen. Wenn er
schmollte und nicht gehen wollte, nahm sie ihren Kamm aus dem Haar
und hielt ihn ihm
Weitere Kostenlose Bücher