Die Sünde des Abbé Mouret
Weiß
noch aufschimmerte aus dunklen Rasengründen. In der Weite hinter
dem blauen Streifen einer Wasserfläche gab es eine Wirrnis von
Fruchtbäumen; noch weiter hob sich ein violett durchdämmerter, lichtdurchstreifter Hochwald, ein
Urwald, dessen Wipfel endlos sich kuppelten, blaßgrün, kräftiggrün,
gelbgrün durchspielt. Zur Rechten zog der Wald sich eine Höhe
hinauf, löste sich auf in kleinen Fichtenwaldungen und kärglichem
Gestrüpp, während nackte Felsen sich gewaltig aufeinander
schichteten zu horizontversperrendem Berg türmen; hitziges Wachstum
zerriß den Boden, ungeheuerliche Pflanzen sonnten sich reglos wie
kriechendes Gewürm; ein Silberstrahl, ein Sprühen, das von ferne
sich ausnahm wie stäubende Perlen, deutete sich als Wasserfall,
Quelle jener ruhigen Gewässer, die so gemächlich den Blumengarten
durchflossen. Zur Linken endlich strömte durch eine weite Wiese der
Fluß; hier teilte er sich in vier Bäche, deren launiger Lauf an
Schilf, Weiden und hohen Bäumen zu verfolgen war; unübersehbar
breitete sich Grasland in kühlen Niederungen, bläulich überdampfte
Landschaft, deren Tagesklarheit allmählich in der Grüne des
Sonnenunterganges schwand. Das Paradeis, Blumengarten, Wald,
Felsen, Wässer und Wiesen nahm die ganze Himmelsbreite ein.
»Das Paradeis!« murmelte Sergius und breitete die Arme aus, wie
um den Garten ganz an seine Brust zu ziehen.
Er wankte. Albine mußte ihn in einem Sessel ausruhen lassen.
Zwei Stunden verblieb er so, ohne ein Wort. Er vergrub das Kinn in
den Händen und sah hinaus. Seine Lider zitterten ab und zu, und
Röte stieg in die Wangen.
Langsam betrachtete er alles in tiefem Verwundern. Zu weit war
es, zu verworren und mächtig.
»Ich sehe nicht genug und kann nichts verstehen,«
rief er und streckte Albine mit einer
Bewegung äußerster Müdigkeit die Hände hin.
Das junge Mädchen lehnte sich über die Rücklehne des Sessels,
nahm seinen Kopf in die Hände und zwang ihn nochmals hinzusehen.
Halblaut sprach sie auf ihn ein:
»Das Paradeis gehört uns. Niemand wird uns stören. Wenn du
gesund bist, werden wir uns auf die Wanderschaft machen. Es gibt
genügend Wege für alle Tage unseres Lebens. Wir werden gehen, wohin
du willst … Wohin möchtest du gehen?«
Lächelnd murmelte er:
»Oh, nicht weit. Am ersten Tage nur ein paar Schritte weit von
der Tür. Siehst du, umfallen würde ich sonst … bis zu dem Baum
am Fenster werde ich gehen.«
Leise begann sie wieder:
»Willst du in den Blumengarten gehen? Die Rosenhecken wirst du
sehen, die alles überwuchernden Rosen, deren Rankensträuße sogar
die alten Alleen überpflanzen. Oder willst du lieber in den
Fruchtgarten gehen; ich kann nur kriechend hineinkommen, so
fruchtbeladen hängen die Äste nieder … Wenn du kräftig bist,
werden wir noch weiter wandern. Bis zum Wald hin, in
Schattenhöhlen, sehr weit, so weit, daß wir im Freien übernachten
müssen, wenn die Nacht uns überrascht… Oder wir steigen eines
Morgens hinauf auf die Felsen. Pflanzen wirst du da sehen, vor
denen mir ängstigt. Die Quellen wirst du sehen, einen Sprühregen
von Wasser, und lustig wird es sein, sich Wasser über das Gesicht
sprühen zu lassen. Wenn du es aber vorziehst, an den Hecken entlang
zu gehen, am Rande eines Baches, dann müßten wir den Wiesenweg
einschlagen. Schön ist es unter den Weiden am Abend bei Sonnenuntergang. Man streckt sich ins
Gras und paßt auf, wie die kleinen grünen Frösche über Binsenhalme
hüpfen.«
»Nein, nein,« sagte Sergius, »du ermüdest mich, ich will nicht
soweit vorausdenken… Ein, zwei Schritte werde ich gehen, und das
wird Anstrengung genug sein.«
»Ich selbst«, fuhr sie fort, »habe noch nicht überall
hingefunden. Es gibt viele Winkel, die ich noch nicht kenne.
Trotzdem ich mich seit Jahren hier herumtreibe, fühle ich, wie es
um mich Unentdecktes gibt, Verstecke, wo der Schatten kühler, das
Gras weicher ist … Höre, immer habe ich mir eingebildet, ein
Versteck zumal gäbe es, wo ich für immer leben möchte. Es liegt
sicherlich irgendwo verborgen; ich bin wahrscheinlich dicht daran
vorübergegangen, oder es liegt so weit fort, daß ich auf meinen
täglichen Wegen nicht bis dorthin gelangt bin… Nicht wahr, Sergius,
wir werden zusammen suchen und dort leben.«
»Nein, nein, sei still,« stammelte der junge Mann. »Ich verstehe
nicht, was du mir sagst; du bringst mich um.« Eine Weile ließ sie
ihn sich in ihren Armen ausweinen und war verzweifelt, kein Wort
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