Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Erdbeeren wissen, die
Albine verächtlich fortwarf. Auch sie tat den Mund nicht mehr auf.
Lieber hätte sie ihn krank gesehen wie in
den ersten Tagen, als sie ihm die Hand unter den Kopf schob und ihn
wieder aufleben fühlte unter dem Hauch, mit dem sie sein Antlitz
kühlte. Sie verwünschte die Gesundheit, die ihn jetzt sich in der
Sonne aufrichten ließ mit der Gleichgültigkeit einer jungen
Gottheit. Würde er weiterhin keine Augen für sie haben? Würde er
nicht so weit gesund werden, daß er sie zu sehen und lieben
vermöchte? Und sie erträumte sich, seine Heilung zu werden und
einzig durch die Macht ihrer kleinen Hände diese Kur einer zweiten
Geburt zu vollenden. Seinen grauen Augen mangelte es an wirklichem
Leben, sie sah es wohl, und seine Schönheit war starr wie die der
umgestürzten Steinfiguren unter den Nesseln des Blumengartens. Da
stand sie auf, umschlang ihn wieder und blies ihm in den Nacken, um
ihn aufzuwecken. An diesem Morgen aber wurde sich Sergius dieses
Atems, unter dem sein seidiger Bartflaum zitterte, nicht einmal
bewußt. Es war Mittag, sie mußten zurück ins Haus.
    Oben im Zimmer weinte Albine.
    Von diesem Morgen an unternahm der Genesende alle Tage einen
kurzen Spaziergang im Garten. Er ging am Maulbeerbaum vorüber, bis
zum Rande der Terrasse vor der großen Treppe, deren zerbrochene
Stufen zum Blumengarten hinabführten. Er gewöhnte sich an die
frische Luft. Jedes Baden in der Sonne ließ ihn mehr erblühen. Ein
junger Kastanienbaum, der aus einem Samenkorn emporgeschossen war,
das sich zwischen die Steinplatten der Balustrade verirrt hatte,
sprengte seine Knospenharze, entfaltete seine Blattflächer weniger
ungestüm als das Aufleben Sergius' Fortschritte machte. Eines Tages
wollte er sogar die Treppe hinuntersteigen, er hatte seine Kräfte aber überschätzt und ließ sich auf einer
Stufe nieder, inmitten von Mauerkraut, das aus Ritzen herauswuchs.
Unten auf der linken Seite sah er ein kleines Rosengehölz. Bis
dahin zu gelangen, war sein Traum.
    »Warte noch ein wenig,« sagte Albine. »Der Rosenduft ist noch zu
stark für dich. Nie habe ich mich unter die Rosen setzen können,
ohne daß mich nicht ein Gefühl der Ermattung überfallen hätte, der
Kopf schwindelte mir und eine süße Lust zu weinen kam mich an…
Meine Hand darauf, ich werde dich zu den Rosen führen, und weinen
werde ich auch, denn du machst mir großen Kummer.«

Kapitel 6
     
    Eines Morgens endlich gelangte er mit ihrer Hilfe die Treppe
hinunter; sie glättete die Gräser vor ihm mit dem Fuß und bahnte
ihm einen Weg durch die wilden Rosengehänge, deren biegsame Zweige
die letzten Stufen versperrten. Dann drangen sie langsam ein in den
Rosenwald. Das Gehölz bildete sich aus hochstämmig großen
Rosenbäumen, die Blätterwölbungen ausspannten wie Baumkronen, aus
mächtigen Rosengebüschen, wie Dickicht junger Eichen. Einstmals
hatte sich hier eine bewunderungswürdige Rosensammlung
befunden.
    Aber seitdem der Blumengarten sich selbst überlassen blieb,
hatte alles wachsen können, wie es wollte, waldartiges Dickicht war
entstanden, ein Wald aus Rosen, der die Wege überwucherte, alles
mit wilden Schößlingen überschwemmte; die verschiedenen Arten
verwuchsen zu solcher Wirrnis, daß Rosen aller Farben und Düfte
aus den gleichen Stämmen aufzublühen
schienen. Schlingrosen übermoosten teppichweich den Boden, während
Kletterrosen andere Rosenstöcke umschlangen, wie zähes Efeugerank;
grüne Raketen stiegen und ließen beim leisesten Hauch Blumenblätter
herniederregnen. Inmitten des Wäldchens hatten sich natürliche
Alleen gebildet, schmale Stege, breite Pfade, bezaubernd
verwachsene Wege, auf denen man duftig umschattet ging. So gelangte
man zu Kreuzwegen, Lichtungen, Lauben kleiner roter Rosen, zwischen
Wänden, die mit gelben Rosen überschüttet waren. In manchen
durchsonnten Ecken leuchtete es auf wie von seidenen Stoffen, grün
und bunt durchwirktem Brokat; in manchen Schattenwinkeln lag
Alkovenheimlichkeit, ein Liebesduft, die sanfte Wärme eines
Straußes, der am Busen einer Frau sich bettete. Ein Flüstern ging
durch die Rosen, und aus den nesterreichen Hecken hob sich
Gesang.
    »Wir müssen achtgeben,« sagte Albine, als sie das Gehölz
betraten, »ich habe mich schon einmal verirrt. Die Sonne war schon
gesunken, als ich mir endlich einen Pfad durch die Rosen gebahnt
hatte; bei jedem Schritt hefteten sie sich an mich.«
    Aber kaum waren sie einige Minuten unterwegs, da wollte sich

Weitere Kostenlose Bücher