Die Sünde des Abbé Mouret
Blumengartens, ehrwürdig gab
er ihnen das Geleit. Jahrhundertelang grünte das weite Feld in
Verlassenheit, paradiesischer Winkel, dem der Wind die seltensten
Blumen säte. Der glückliche Frieden des sonnenentschlummerten
Paradeis ließ die Entkräftung der Pflanzenarten nicht zu.
Gleichmäßige Witterung herrschte dort, und das Erdreich
war lange genug von jeder Pflanze
durchdüngt, um in schweigender Kraft ihr gedeihlich zu sein.
Unermeßlich war das Wachstum, prächtig, machtvoll, ungebändigt,
reich an Zufälligkeiten, die Ungeheuerliches zur Blüte brachten,
fern von Spaten und Gießkanne des Gärtners. Die Natur, sich selbst
überlassen, konnte in aller Zuchtlosigkeit sich ungehemmt
auswachsen in diesen einsam geschützten Gründen, wallte in jedem
Frühling heftiger auf, gab sich den unerhörtesten Belustigungen
hin, erfreute sich zu allen Jahreszeiten mit den seltsamsten, von
keiner Hand je berührten Sträußen. Und es war, als wüte sie gegen
alles von Menschenhand Geschaffene: in Empörung schleuderte sie ein
buntes Durcheinander von Blumen mitten in die Alleen, Klettermoose
griffen die Muschelgrotten an, sie umknotete den Hals der
Marmorstandbilder und riß sie um mit Hilfe der Kordelbiegsamkeit
ihrer Schlinggewächse; sie zersprengte das Gestein der
Wasserbecken, der Treppen und Terrassen durch aufwucherndes
Gesträuch; sie ruhte nicht, bis sie die kleinsten gepflegten
Verstecke erschlichen hatte, bildete sie nach ihrer Weise um und
pflanzte als Standarte der Empörung am Weg aufgerafftes Samenkorn,
irgendein bescheidenes Grün, das sie riesenhaft aufschießen ließ.
Einstmals hatte der Blumengarten, für einen Herrn bestellt, der die
Blumen leidenschaftlich liebte, auserlesene Wunder an Blumenbeeten
und gewählten Einfassungen aufzuweisen. Heute traf man die gleichen
Gewächse an, aber verpflanzt und in so zahllose Familien erweitert,
so versprengt nach allen Seiten des Parkes, daß dieser nur noch
eine Wirrnis war, schulentlaufen verdächtiges Gedränge, die
trunkene Natur schluchzte auf in Eisenkraut und Nelken.
Albine führte Sergius, wenngleich sie so
tat, als schmiege sie sich schwach und hingebungsvoll an seine
Schulter.
Zuerst führte sie ihn nach der Grotte. In der Tiefe einer Gruppe
von Pappeln und Weiden fand sich eine verfallene Muschelgrotte,
Felsstücke waren in ein flachrundes Brunnenbecken gestürzt,
Wasserrinnsale zogen sich über die Steine. Die Grotte verschwand im
Blätteransturm. Unten schienen Reihen von Stockrosen den Eingang
mit einem Gitter roter, weißer, violetter und gelber Blumen zu
versperren, deren Stämme in riesigen, bronzegrünen Nesseln
versanken, die ruhevoll brennende Gifte schwitzten. Dann gab es ein
ungeheueres Aufschnellen, ein Emporklimmen in wenigen Sätzen,
süßbesternte Jasminblumen; Glyzinen mit spitzenhaft zarten
Blättern; dichten Efeu, wie aus lackiertem Eisenblech gestanzt,
biegsame Geißblattranken mit blassen Korallenhalmen überschüttet,
verliebte Waldreben, zierlich weiß bebüschelte, die ihre Arme
breiteten. Und noch andere, zartere Pflanzen, die sich diesen
schmiegten und sie fester banden, sie verstrickten in duftende
Netze.
Nacktgrüne Kapuzinerblüten sperrten rotgoldene Rachen auf.
Fadendicke spanische Bohnen ließen hier und dort ihr brennendes
Feuer aufglimmen. Winden entfalteten die herzgeschnittenen Blätter,
läuteten mit tausend Glöckchen ein stillentzücktes Farbenlied.
Wicken, wie ruhende Schmetterlingsflügel, bogen die fahlroten, die
rosa Schwingen, bereit, sich vom ersten Windeswehen forttragen zu
lassen. Maßlos dichtes, grünes Fließ, von Blumen überregnet, das
nach allen Seiten auszüngelte, sich sträubte in wilder Wirrnis; man
konnte annehmen, irgendeine Riesin sei weithin niedergebrochen und
habevon Leidenschaft durchkrampft den Kopf
zurückgebogen, in einem Mähnengeriesel, das nach allen Seiten sich
ausbreitete, wie duftender See.
»Niemals habe ich mich in diese Schwärze gewagt,« flüsterte
Albine Sergius ins Ohr.
Er machte ihr Mut und trug sie durch die Brennesseln; und da ein
Felsstück die Schwelle der Grotte versperrte, hielt er sie einen
Augenblick aufrecht in den Armen, damit sie durch die Öffnung zu
spähen vermöchte, die einige Fuß über dem Erdboden sich auftat.
Sie flüsterte: »Da ist eine Marmorfrau, die der Länge nach in
das fließende Wasser gestürzt ist. Das Gesicht ist im Wasser
vergangen.«
Er wollte sich das auch ansehen und hob sich mit aufgestemmten
Händen. Ein kalter Luftzug
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