Die Sünde des Abbé Mouret
war eine große, blasse, am Morgen erblühte Rose. Mit
weißen Füßen, rosigen Knien und Armen, erblondetem Nacken,
entzückend geäderter, süßfeuchter Brust. Sie duftete gut, bot
Lippen, deren Korallenkelch erst schwacher Duft entströmte. Und
Sergius atmete sie ein, schloß sie an seine Brust.
»Oh,« sagte sie, »du tust mir nicht weh, nimm mich nur ganz und
gar.«
Sergius blieb im Bann ihres wie Vogelsang trillernden
Lachens.
»Wie du singen kannst,« sagte er; »nie hörte ich ein so süßes
Lied … Du bist meine Freude… «
Da lachte sie in noch perlenderen Läufen kleiner, spitziger
Flötentöne, die sich langsam verloren in tiefen Lauten. Ein Lachen
war es, das nicht enden wollte; tiefes Gurren, musikalisches
Klingen, sieghaft die Lust des Erwachens feiernd. Alles lachte in
diesem Lachen einer zu Schönheit und Liebe erwachenden Frau; die
Rosen, der duftende Wald, das ganze Paradeis. Bis zu dieser Stunde
hatte dem großen Garten ein Reiz gefehlt, eine begnadete Stimme,
die lebendiger Freudenlaut der Bäume, Wässer und Sonne gewesen
wäre. Jetzt war dem großen Garten die Zaubergabe des Lachens
verliehen.
»Wie alt bist du?« fragte Albine, nachdem ihr Getriller in zart
ersterbendem Ton verhallt war.
»Sechsundzwanzig Jahre werde ich alt,« erwiderte Sergius. Sie
verwunderte sich. Wirklich! Er war sechsundzwanzig Jahre alt! Er
selbst war ganz erstaunt über diese Antwort, die ihm so leicht über
die Lippen kam, denn es war ihm zumute,
als sei er kaum einen Tag alt, kaum seit einer Stunde geboren.
»Und du, wie alt bist du?« fragte er nun Albine.
»Ich bin sechzehn!«
Wieder begann sie zu lachen, sie war ganz durchbebt, wiederholte
ihr Alter, sang es heraus. Sie lachte darüber, daß sie erst
sechzehnjährig war, ein wasserklar rieselndes Lachen, rhythmisches
Stimmerzittern. Sergius betrachtete sie ganz nah, in verwundertem
Entzücken, über dieses mit lachendem Leben überglänzte
Kinderantlitz. Er erkannte sie kaum wieder, mit den Grübchen in den
Wangen, den rosigen Lippen, den Augen wie blauer,
sternaufleuchtender Himmel. Als sie sich zurückwarf, lehnte sie ihr
lachend geschwelltes Kinn ihm wärmend an die Schulter. Er streckte
die Hand aus und schien halb unbewußt ihr im Nacken etwas zu
suchen.
»Was willst du denn,« fragte sie. Da kam ihr die Erinnerung, und
sie rief:
»Meinen Kamm willst du, du willst meinen Kamm!« Sie gab ihn ihm,
ließ die schweren Flechten ihres Haarknotens fallen. Wie das
Entfalten eines goldenen Mantels war es. Dicht hüllten ihre Haare
bis zu den Flanken sie ein, einzelne Locken, die ihr auf die Brust
fielen, vollendeten die königliche Zier. Sergius entfuhr ein leiser
Schrei bei diesem plötzlichen Aufflammen. Jede Locke küßte er,
verbrannte sich die Lippen an den Sonnenuntergangsstrahlen.
Albine aber entschädigte sich jetzt für ihr langes Schweigen.
Sie redete, fragte, und konnte kein Aufhören finden.
»Ach, wie du mich gequält hast! Nicht mehr vorhanden war ich für
dich; unnütz und untätig verbrachte ich die Tage, verzweifelt über meine Unfähigkeit… Und in
den ersten Tagen hatte ich dir doch Linderung schaffen können; du
sahst mich, sprachst mit mir… entsinnst du dich nicht mehr, wie du
im Bett lagst und an meiner Schulter einschliefst, murmeltest, daß
ich dich beruhigte!«
»Nein,« sagte Sergius, »nein, ich erinnere mich nicht… Nie hatte
ich dich noch gesehen, jetzt sehe ich dich zum ersten Male, schön,
strahlend, unvergeßlich.«
Ungeduldig widersprach sie und klatschte in die Hände.
»Und mein Kamm? Weißt du nicht mehr, wie ich dir meinen Kamm
gab, um Ruhe zu haben, als du noch ganz kindisch warst? Sogar
vorhin hast du nach ihm gesucht.«
»Nein, ich weiß nicht mehr… Wie feingesponnene Seide sind deine
Haare. Nie noch hab ich dein Haar geküßt.«
Sie wurde böse, gab genaue Einzelheiten an, beschrieb ihm
Genesungstage im blauüberwölbten Zimmer. Schließlich legte er ihr
lachend die Hand auf den Mund und sagte mit matter Unruhe:
»Nein, schweig doch, ich weiß nichts mehr und will auch nichts
mehr davon wissen … Gerade bin ich aufgewacht und finde dich
hier, rosengeschmückt. Das genügt mir.« Und er nahm sie wieder in
die Arme lange Zeit und murmelte wie im Traum.
»Vielleicht habe ich schon gelebt. Vor langer, sehr langer Zeit…
In einem schmerzhaften Traum liebte ich dich. Du hattest deine
kindliche Miene, dein längliches Gesicht, die blauen Augen. Aber
deine Haare waren sorgfältig unter einem Tuch
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