Die Sünde des Abbé Mouret
scharlachfarbenes
Benediktenkraut aufstrebte, Rhodanthum mit trockenen Blättern wie
buntbrüchiges Papier, Klärkien mit den großen, zierlich
durchbrochenen weißen Kreuzen, die sich wie das Kreuz eines
barbarischen Ordens ausnahmen. Höher hinauf entfalteten sich rosa
Viskarien, gelbes Leptosiphon, weiße Colinsia, und der Lagurus
mengte in dies lebhafte Farbenspiel seine aschengrünen Bälle. Noch
weiter oben erhoben roter Fingerhut, blaue Wolfsbohnen ihre zarten
Säulengänge, wurden zu schwebender byzantinischer Rotunde, grell
überfärbt von Purpur und Azur, während zu alleroberst ein mächtiger
Wunderbaum mit vollblütigen Blättern zu dunkelkupfrigem Dom sich
wölbte.
Und als Sergius mit vorgestreckten Händen weiterging und sich
einen Weg bahnen wollte, flehte Albine ihn an, den Blumen kein Leid
anzutun.
»Du würdest die Äste abbrechen, die Blätter zerdrücken,« sagte
sie. »Seitdem ich hier lebe, gebe ich mir Mühe, niemand zu Leide zu
sein. Komm mit, ich will dir die Stiefmütterchen zeigen.«
Sie zwang ihn umzukehren und führte ihn aus der Wegenge in die
Mitte des Blumengartens, wo sich früher die großen Wasserkünste
befunden hatten. Die ausgefüllten Wasserbecken waren jetzt nur noch
große Blumenschalen mit zerschütterten, zerborstenen Marmorrändern.
Eines der größten hatte der Wind in einen wundersamen
Stiefmütterchenkorb verwandelt. Lebensvoll schimmerten die samtenen Blumen, violett gescheitelt, gelbäugig,
mit blassen Lippen und blaßfarbenem Kinn.
»Als ich kleiner war, fürchtete ich mich vor ihnen. Betrachte
sie nur recht. Könnte man nicht meinen, tausend winzige Gesichter
sehen vom Boden auf? … Und sie wenden ihre Gesichter alle nach
einer Richtung. Wie eingegrabene Puppen sind sie, die den Kopf aus
der Erde strecken.«
Wieder zog sie ihn weiter. Sie gingen von einem Beet zum
anderen. In der benachbarten Schale blühte Tausendschön mit
ungeheuerlich gesträubten Kämmen, die Albine nicht anzufassen
wagte, weil sie ihr vorkamen wie riesenhafte blutige Raupen.
Strohgelbe Balsaminen, pfirsichfarbene, flachsgraue, verwaschen
rosige füllten eine andere Schale, der ihre Samenkörner federnd
entsprangen mit einem trockenen kleinen Geräusch. Etwas weiter gab
es zwischen den Trümmern eines Springbrunnens eine Unmasse
prachtvoller Nelken; weiße Nelken entquollen der moosbedeckten
Muschel; buntgeflammte Nelken ließen aus Steinritzen die
Vielfarbigkeit ihrer ausgerüschten Musselinzacken aufwachsen,
während dem Löwenrachen, der früher Wasser spie, große rote Nelken
entblühten in so kraftvollen Strahlen, daß der verstümmelte alte
Löwe jetzt Blutgerinsel von sich zu geben schien. Und nebenan das
Hauptgewässer, der frühere Schwanensee, hatte sich in einen
Fliederwald verwandelt, in dessen Schatten Klee, Eisenkraut,
dreifarbige Winden ihre zarte Haut schützten, halbschlafend in
duftender Feuchte.
»Und wir haben noch nicht einmal die Hälfte des Blumengartens
durchschritten,« sagte Albine stolz. »Dort drüben wachsen große
Feldblumen, in denen ich vollkommen verschwinde wie ein Rebhuhn im
Kornfeld.«
Sie gingen hin, stiegen eine breite Treppe
herunter, aus deren gestürzten Urnen violette Irisflammen hoch
aufschlugen. An den Stufen entlang ergoß sich ein Levkoiengeriesel
wie flüssiger Goldstrom. Disteln stellten sich zu beiden Seiten als
grünbronzene, stachelsträubende Kandelaber, beschnäbelt wie
phantastische Vögel, seltsam künstlich, von der Eleganz
chinesischer Rauchergefäße. Sedum hing blonde Flechten zwischen die
Balustraden, grünliche Wasserhaare mit Feuchtigkeitsmalen. Unten
breitete sich ein zweiter Blumengarten, der von eichenstarken
Buchshecken durchzogen wurde, vormals zu Kugeln, Pyramiden,
achteckigen Türmen beschnittenem Buchs, der jetzt in großartiger
Ungezwungenheit düstergrün überfließende Hecken aufbaute, durch
deren Lücken man das Blau des Himmels sah.
Und Albine führte Sergius nach rechts hinüber auf ein Feld, das
wie der Kirchhof des Blumengartens sich ausnahm. Hier klagten
Skabiosen, Trauerzüge von Mohn zogen in Reihen dahin; sie rochen
nach Tod und entfalteten ihre schweren Blüten in fiebrigem Glanz.
Tragische Anemonen standen als leidtragende Menge, welk und
erdfarbig von irgendeinem Krankheitshauch gestreift. Untersetzte
Stechäpfel hoben ihre blaßvioletten Hörner, denen lebensmüde
Insekten selbstmörderisch Gift entsogen. Ringelblumen, unter ihren
schleimigen Blättern begraben, waren wie Leiber im
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