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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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über ihren
Aufschrei, und belächelte schon ihr Angstgefühl.
    »Nein, laß mich, quäle mich nicht… Was sollten wir denn
anfangen, wenn wir uns hinsetzten? Gehen ist mir lieber.«
    Und mit ernster Miene, die scherzhaft sein sollte, fügte sie
hinzu:
    »Du weißt doch, daß ich meinen Baum suche.«
    Da lachte er und bot ihr seine Hilfe an. Er bemühte sich, sehr
sanft zu sein, um sie nicht noch mehr zu erschrecken, denn er
bemerkte wohl, daß sie noch immer zitterte, wiewohl sie ihm
wiederum langsam zur Seite schritt. Verboten war, was sie
unternehmen wollten, kein Glück würde es ihnen bringen; und gleich
ihr fühlte er sich von süßem Schrecken bewegt, der bei jedem fernen
Waldesrauschen ihn durchschauerte. Der Geruch der Bäume, das
grünliche Licht, das von den oberen Zweigen niederrieselte, das
flüsternde Schweigen der Büsche erfüllte sie mit ängstlicher
Spannung, so, als ob sie bei der nächsten Wegesbiegung eindrängen
in verbotene Süße unseligen Glückes.
    Stundenlang schritten sie durch die Bäume. Sie behielten ihren
Schlenderschritt bei; kaum daß sie einige Worte wechselten; nicht
eine Minute trennten sie sich, sie gingen einander nach durch
gründüstere Tiefen. Zuerst führte ihr Weg sie durch Buschholz,
dessen junge Stämme kaum von der Dicke eines Kinderarmes waren. Sie
mußten sie auseinanderbiegen, einen Weg
sich bahnen durch die zarten Triebe, die ihnen mit dem wehenden
Spitzenmuster ihrer Blätter die Augen verhängten. Hinter ihnen
verlöschte ihre Spur, die Wegzeile verschloß sich, und so drangen
sie vor aufs Geratewohl, unsicher und wankend; nur das Schwanken
der Äste ließ erkennen, wo sie vorübergekommen waren. Albine war es
müde, nur drei Schritte weit sehen zu können, glücklich entwand sie
sich schließlich dem unübersehbaren Gebüsch, dessen Ende sie seit
langem mühselig suchten. Sie befanden sich auf einer Lichtung
inmitten kleiner Wege; nach allen Seiten zogen sich zwischen grünen
Hecken enge Pfade hin und her, kreuz und quer, in der
abenteuerlichsten Weise. Sie stellten sich auf die Zehenspitzen, um
über die Hecken sehen zu können; aber unerquickliche Eile trieb sie
nicht an; gerne wären sie dort verblieben, hätten sich vergessen in
ständigen Umwegen, dem Vergnügen hingegeben, ständig zu wandern,
ohne je anzukommen am Ziel, wäre vor ihnen nicht der Hochwald stolz
erstanden. Endlich traten sie andachtsvoll unter die hohen Bäume,
und etwas wie frommes Grauen überkam sie, wie es einen wohl in
Kirchen überschleicht. Die geraden flechtenweißen Stämme, graufahl
wie altes Gestein, wuchsen ins Unendliche, reihten sich zu
unmeßbaren Säulenhallen auf. Fernhin weiteten sich Kapellenschiffe
mit niedrigen Endwandungen; Kapellen seltsam gewagter Bauart mit
überschlanken Tragepfeilern, durchbrochen, ausgezähnt, so fein
durchgearbeitet, daß ringsum die Himmelsbläue zu sehen war.
Weihevolles Schweigen sank nieder aus den riesenhaften Spitzbögen,
die harte, graslos ernste Kahlheit verlieh dem Boden das Ansehen
verbrauchter Steinquadern, nur überstreut mit dem
rötlichen Staub dürrer Blätter. Und
ergriffen von der großartigen Einsamkeit dieses Tempels, lauschten
sie dem Geräusch ihrer Schritte.
    Hier sicherlich mußte der vielgesuchte Baum zu finden sein,
dessen Schatten vollkommene Seligkeit versprach. Am Zauber, der
sich mit dem Halblicht aus den hohen Gewölben über sie ergoß,
fühlten sie seine Nähe. Die Bäume erschienen ihnen wie glücklich
unbewegliche, gütige, kraftvolle, schweigendreiche Wesen. Sie
betrachteten sie einen nach dem anderen, liebten sie alle,
erwarteten aus ihrer überlegenen Ruhe irgendein Geständnis, das sie
ähnlich wachsen ließe in der Freude machtvollen Lebens. Ahorn,
Eschen, Buchen, Kornelkirschen waren ein Riesenvolk von Kolossen,
eine stolz sanfte Menge heldenhafter Kerle, die vom Frieden lebten,
denn der Fall eines einzigen von ihnen hätte genügt, um den ganzen
Waldwinkel zu Schaden kommen und verenden zu lassen. Die Ulmen
waren riesige Körper mit geschwellten saftverschleimten Gliedmaßen,
die kaum bedeckt waren von dem leichten Gesträußel ihrer kleinen
Blätter. Birken, Erlen, in ihrer mädchenhaften Weiße, bogen
schlankgeschweifte Leiber, überließen den Winden zum Spiel ihr Haar
großer Göttinnen, die schon halb sich in Bäume verwandelten.
Platanen hoben den ebenmäßigen Rumpf, von der rottätowierten,
glatten Haut schienen Farbschuppen abzubröckeln. Die Lärchen
bestanden einen Abhang wie eine

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