Die Sünde des Abbé Mouret
endlich heim von den Vergnügungen des
Tages, lebhaft angeregt wie ein junges Paar, das von einem
mutwilligen Unternehmen nach Hause kommt. Sie betrachteten
einander, fanden sich schöner und kraftvoller; und eines war
sicher: in ihrem Lachen war ein neuer Ton.
Kapitel 11
»Werden wir denn nie mehr ausgehen?« fragte Sergius einige Tage
später. Als er Albine matt die Achseln zucken sah, setzte er hinzu,
wie um sich über sie lustig zu machen:
»Du hast also die Suche nach deinem Baum aufgegeben?«
Den ganzen Tag über gab dies Anlaß zu Neckereien. Der Baum war
gar nicht vorhanden; eine Fabel war er. Und doch konnten sie sich
eines leisen Schauers nicht erwehren, wenn sie von ihm sprachen. Am
folgenden Tag beschlossen sie einen Ausflug in die Parkgründe zu
unternehmen, in den Hochwald zu gehen, den Sergius noch nicht
kannte.
Am Morgen des geplanten Ausfluges wollte Albine nichts
mitnehmen; sie war nachdenklich, fast etwas traurig sogar und
lächelte sehr sanft. Sie frühstückten und machten sich erst spät
auf den Weg. Matt und langsam gingen sie in der schon heißen Sonne
nebeneinander und suchten sich Schattenstreifen. Weder der Blumen-
noch der Obstgarten, die sie durchwandern mußten, konnte sie zum
Verweilen bewegen. Als sie in die Kühle
tiefer Beschattung kamen, verlangsamten sie ihre Schritte noch
mehr, drangen wortlos ein in die zärtliche Waldesgesammeltheit,
laut aufseufzend, als empfänden sie große Erleichterung, dem hellen
Tag entronnen zu sein. Als sie dann ganz von Blättern umschlossen
waren, als durch keine Lücke mehr durchsonnte Gartenfernen
aufschimmerten, sahen sie sich lächelnd an, in unbestimmter
Erregung.
»Hier wird einem wohl,« murmelte Sergius. Albine nickte;
antworten konnte sie nicht, der Hals war ihr wie zugeschnürt. Sie
hielten sich nicht mehr umschlungen, wie sie es sonst wohl taten.
Mit schlenkernden Armen, hängenden Händen gingen sie, ohne sich zu
berühren, und ließen den Kopf hängen.
Sergius blieb stehen; er sah, wie Tränen Albines Wangen
übertropften und in ihrem Lächeln vergingen.
»Was fehlt dir,« rief er, »bist du krank? Hast du dir weh
getan?«
»Nein, ich lache ja nur,« sagte sie, »ich weiß nicht, der Duft
aller dieser Bäume treibt mir die Tränen in die Augen.«
Sie betrachtete ihn und begann wieder:
»Du weinst auch. Dann mußt du ja wissen, daß es angenehm
ist.«
»Ja,« sagte er leise, »diese tiefen Schatten so plötzlich sind
so seltsam. Es ist, als versänke man in etwas außerordentlich
Sanftes, so sanft, daß es schmerzt … Wenn deine Traurigkeit
aber einen Grund hatte, mußt du es mir sagen. Habe ich dich
geärgert, bist du böse mit mir?«
Sie versicherte, es sei nicht so. Vollkommen zufrieden wäre
sie.
»Warum bist du dann nicht froh? …
Willst du, daß wir Nachlaufen spielen?«
»O nein, nicht nachlaufen!« antwortete sie und verzog den
Mund.
Und als er ihr andere Spiele vorschlug: auf die Bäume zu
klettern, um Nester zu suchen, Pfirsiche oder Veilchen zu pflücken,
sagte sie endlich etwas ungeduldig:
»Dazu sind wir zu groß. Es ist dumm, immer zu spielen. Gefällt
es dir denn nicht besser, ruhig neben mir herzugehen?«
Sie hatte wirklich einen so hübschen Gang, daß es ihm die größte
Freude machte, das leise Klappern ihrer Absätze auf dem harten
Boden der Allee zu hören. Nie hatte er dem Wiegen ihrer Hüften, dem
lebendigen Fließen ihrer schlangenhaft gleitenden Kleider Beachtung
geschenkt. Eine unerschöpfliche Freude war es, sie so gesetzt an
seiner Seite gehen zu sehen; er entdeckte neue Reize in den
kleinsten Bewegungen ihres Körpers.
»Du hast recht,« rief er, »es ist unterhaltender als alles
andere. Ich ginge mit dir bis ans Ende der Welt, wenn du es haben
wolltest.«
Einige Schritte weiter jedoch erkundigte er sich, ob sie nicht
müde sei. Dann ließ er durchblicken, er selbst ruhte gern ein wenig
aus.
»Wir könnten uns hinsetzen,« stotterte er.
»Nein,« gab sie zur Antwort, »ich will nicht.«
»Weißt du, wir könnten uns hinlegen, wie neulich, mitten in die
Wiese. Dann wäre uns warm, und wir wären gut aufgehoben.«
»Ich will nicht, ich will nicht.«
Mit einem Sprung wich sie aus im Grauen vor den Männerarmen, die nach ihr griffen. Er schalt sie dumm
und wollte sie einfangen. Als er sie aber kaum mit den
Fingerspitzen berührte, stieß sie einen so verzweifelten Schrei
aus, daß er bebend innehielt. »Hab' ich dir wehe getan?«
Sie gab nicht gleich Antwort, selbst erstaunt
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