Die Sünde des Abbé Mouret
schwebender Stimme, die
kleine Goldhaare an Albinens Schläfe aufwehen ließ.
Er wollte andere Worte finden und wiederholte:
»Ich liebe dich, ich liebe dich!«
Albine lauschte mit schönem Lächeln. Sie prägte sich diese
liebliche Musik ein.
»Ich liebe dich, ich liebe dich,« seufzte sie, und lieblicher
klang das noch von ihren Jungmädchenlippen. Dann die Augen hebend,
in denen ein Licht aufzuscheinen begann, fragte sie:
»Wie liebst du mich?«
Da sammelte sich Sergius. Die hohen Stämme standen in sanfter
Feierlichkeit, noch waren die tiefen Kapellen durchbebt von den
Schritten des Paares.
»Mehr als alles liebe ich dich,« antwortete er, »du bist schöner
als alles, das ich morgens sehe beim Öffnen des Fensters. Betrachte
ich dich, denke ich an nichts anderes mehr. Wenn ich nur dich habe,
bin ich glücklich.«
Sie schlug die Augen nieder und wiegte leise den Kopf.
»Ich liebe dich,« fuhr er fort, »ich kenne dich nicht, weiß
nicht, wer du bist, woher du kommst; du bist mir weder Mutter noch
Schwester; und doch liebe ich dich in gänzlicher Herzenshingabe, in
aller Ausschließlichkeit… Hör mich an, deine weichseidenen Wangen
liebe ich, deinen rosenduftenden Mund, deine Augen liebe ich, in
denen ich mich spiegele mit meinem Lieben, ganz und gar liebe ich
dich, deine Augenwimpern, das blaue Geäder deiner weißen Schläfen…
Ich liebe dich, um dir sagen zu können, daß ich dich liebe,
Albine.«
»Ja, ich liebe dich,« begann sie wieder. »Dein Bart ist weich
und tut mir nicht weh, wenn ich meine Stirn an deinen Hals lehne.
Du bist stark, groß und schön, und ich liebe dich, Sergius.«
Glücküberkommen schwiegen sie eine Weile. Es war ihnen, als zöge
ein Flötengesang vor ihnen her, als würden ihre Worte ihnen von
sanften, unsichtbaren Chören zugespielt. Zueinander geneigt,
machten sie nur noch ganz kleine Schritte, kreuzten endlos hin und
her zwischen den mächtigen Stämmen. Durch die Säulengänge in der
Ferne drangen Sonnenuntergangsstrahlen, wie ein Zug weißgekleideter Jungfrauen, die hochzeitlich in die
Kirche ziehen bei gedämpftem Orgelton.
»Und warum liebst du mich?« erneute Albine ihre Frage.
Er lächelte und gab zuerst keine Antwort. Dann sagte er:
»Ich liebe dich, weil du gekommen bist. Darin ist alles
enthalten… Jetzt sind wir vereint und lieben uns. Es kommt mir vor,
als könnte ich ohne mein Gefühl zu dir nicht mehr leben. Mein Atem
bist du.«
Er senkte die Stimme und sprach traumumfangen:
»Man weiß es nicht von Anfang an. Mit dem Herzen wächst das in
einem. Groß und stark müssen wir werden… Du weißt doch noch, wie
wir uns liebten! Wir sagten es uns aber nicht. Kindisch ist man und
dumm. Bis es eines Tages zu klar wird und von selbst losbricht… Wir
haben nichts anderes zu tun: wir lieben uns, weil es unser Leben
ist, uns zu lieben.«
Albine hielt den Atem an, mit zurückgebogenem Kopf und
geschlossenen Augen kostete sie das von der Liebkosung dieser Worte
noch ganz erwärmte Schweigen.
»Liebst du mich, liebst du mich?« stammelte sie, ohne die Augen
zu öffnen. Er blieb stumm und war sehr unglücklich, keine Worte
mehr zu finden, die seine Liebe ihr zeigen könnten. Langsam ließ er
den Blick über ihr rosiges Antlitz wandern, das wie im Schlaf sich
darbot. Zart, wie durchpulste Seide, waren die Lider; der Mund
verzog sich süß, von einem Lächeln betaut; die reine Stirn verging
im Goldstreif des Haaransatzes. Sein ganzes Sein hätte er gern
ausgeströmt in Worten, die ihm auf die Lippen traten, ohne daß
er vermocht hätte, sie auszusprechen. Noch
mehr neigte er sich über sie, es schien, als ob er die Stelle
ausfindig machen wollte dieses entzückenden Antlitzes, der er das
innigste Wort widmen wollte. Sein Atem ging hörbar, aber er sagte
nichts und küßte Albine auf die Lippen.
»Albine, ich liebe dich!«
»Ich liebe dich, Sergius!«
Und durchschauert vom ersten Kuß, blieben sie stehen. Sie hatte
die Augen sehr weit geöffnet, sein Mund wölbte sich leicht vor.
Beide sahen sich ohne Erröten an. Ein unwiderstehlich Mächtiges
nahm Besitz von ihnen, wie ein langerwartetes Begegnen war es, in
dem sie gewachsen sich wiederfanden, füreinander bestimmt und für
immer vereint. Einen Augenblick verwunderten sie sich und hoben die
Blicke zu der feierlichen Blätterwölbung, wie um das friedliche
Baumvolk weihevoll zu befragen, ob sie ihrem Kuß zuzustimmen
vermöchten. Aber angesichts der ungetrübt ruhigen Freundlichkeit
der hohen Stämme
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