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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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überkam sie die Fröhlichkeit ungestraft Liebender,
eine lange, lachende Fröhlichkeit voll überfließend zärtlicher
Redseligkeit.
    »Ach, sag' mir, wie lange du mich schon liebst? Erzähl' mir
alles… Liebtest du mich schon, als du auf meiner Hand schliefst?
Liebtest du mich damals, als ich vom Kirschbaum fiel und du unten
standest, ganz blaß mit ausgebreiteten Armen? Liebtest du mich in
den Wiesen, wenn du mich umschlangest, um mir über die Bäche zu
helfen?«
    »Schweig, laß mich reden. Von Anfang an habe ich dich geliebt…
Und du, hattest du mich lieb? Liebtest du mich?«
    Bis in die Nacht hinein lebten sie von
diesem Wort: lieben, das sich ohne Unterlaß wiederholte in immer
neuer Süße. Sie haschten nach ihm, flochten es ihren Sätzen immer
wieder ein, sprachen es aus ohne jeden Zusammenhang, einzig um der
Freude willen, es auszusprechen. Sergius dachte nicht daran,
Albines Lippen ein zweitesmal zu küssen. Ihrem Unwissen genügte es,
den Duft des ersten Kusses zu bewahren. Sie hatten ihren Weg wieder
gefunden, ohne im geringsten der Wege zu achten. Als sie aus dem
Walde traten, sank die Dämmerung schon, und gelb stieg der Mond auf
zwischen schwarzem Gezweig. Wundersam war der Rückweg durch den
Park beim Leuchten des verschwiegenen Gestirns, das ihnen zusah
durch alle Laublücken der großen Bäume.
    Albine sagte, der Mond liefe ihnen nach. Die Nacht war sehr mild
und sternenwarm. Fern durch die hohen Bäume rauschte es
vernehmlich, Sergius horchte auf und dachte sich, »sie reden von
uns«. Als sie den Blumengarten durchschritten, hüllte
außerordentlich süßer Duft sie ein, Duft, der nachts Blumen
entströmt, weicher, liebkosender als am Tag, und der wie Atem ihres
Schlummers war.
    »Gute Nacht, Sergius!«
    »Gute Nacht, Albine!«
    Sie gaben sich die Hand auf dem Treppenabsatz des ersten
Stockwerks, ohne in das Zimmer zu gehen, in dem sie sich gewöhnlich
gute Nacht wünschten. Sie küßten sich nicht. Auf dem Bettrand
sitzend, allein, lauschte Sergius lange den Geräuschen Albinens,
die über ihm sich zur Ruhe begab. Glückliche Mattigkeit durchrann
ihn gliedereinschläfernd.

Kapitel 12
     
    Albine und Sergius konnten sich an den folgenden Tagen eines
Gefühls von Scheu voreinander nicht erwehren. Sie vermieden es,
ihrer Wanderung unter den Bäumen irgendwie Erwähnung zu tun. Sie
küßten sich nicht, sprachen nicht von ihren Gefühlen. Nicht Scham
schloß ihren Mund, sondern die Angst, ihre Freuden zu trüben. Waren
sie nicht zusammen, lebten sie nur in Erinnerungen, vertieften sich
in sie, durchlebten wieder die gemeinsam verbrachten Stunden, die
sie in zärtlichster Umschlingung verlebten, in liebkosender
Atemnähe. Die Folge war, daß heißes Fieber sie erfaßte. Sie sahen
einander aus hohlen, traurigen Augen an und redeten von Dingen, die
ihnen gleichgültig waren. Dann, nach langem Schweigen, fragte
Sergius Albine wohl mit zitternder Stimme:
    »Bist du krank?«
    Albine schüttelte den Kopf und gab zur Antwort:
    »Nein, nein. Aber du fühlst dich sicher nicht wohl. Deine Hände
brennen.«
    Der Park verursachte ihnen eine dumpfe Erregung, die sie sich
nicht zu deuten wußten. An irgendeiner Wegbiegung wartete ihrer
eine Gefahr, die ihnen auflauerte, sie beim Nacken nehmen, sie zu
Boden werfen und verderben wollte. Niemals liehen sie diesen
Gefühlen Worte; durch zage Blicke verrieten sie sich ihre Angst,
die sie wie Feinde trennte. Eines Morgens jedoch faßte sich Albine
ein Herz und sagte nach langem Zaudern:
    »Es ist unrecht von dir, dich immer einzuschließen, du wirst
wieder krank werden.«
    Sergius lachte verlegen auf.
    »Bah!« murrte er, »wir waren ja überall,
kennen den Garten in- und auswendig.«
    Sie schüttelte den Kopf, dann sagte sie sehr leise:
    »Nein, nein … die Felsen kennen wir noch nicht, bis zu den
Quellen sind wir noch nicht gegangen. Dort wärmte ich mich im
Winter. Es gibt Stellen, wo selbst die Steine zu leben
scheinen.«
    Am nächsten Tag gingen sie fort, ohne auch nur ein Wort weiter
darüber gesprochen zu haben. Zur Linken hinter der Grotte, wo die
Marmorfrau schlief, stiegen sie empor. Als sie den Fuß auf die
ersten Steine setzten, sagte Sergius:
    »Sicher hat uns das keine Ruhe gelassen, alles müssen wir
ansehen. Vielleicht werden wir nachher ruhiger sein.«
    Der Tag war erstickend heiß, voller Gewitterschwüle. Sie hatten
nicht gewagt, sich zu umfassen. Sonnenübersengt gingen sie
hintereinander. Sie machte sich eine Wegverbreiterung zunutze, um
ihn

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