Die Sünde in mir
wandte.
„Woran wollen Sie merken, wann die Patientin den Punkt in ihrem Leben erreicht, der sie traumatisiert hat? Können Sie rechtzeitig die Notbremse ziehen?“
Frank sah leicht verdattert aus.
„Wenn ihre Theorie stimmt, durchlebt Frau Schütz ihre Kindheit gerade noch einmal. Es ist anzunehmen, dass sie in eine glückliche Phase der Vergangenheit eingetaucht ist. Ergo wird der Teil, der ihre Psyche belastet noch kommen. Woher wissen Sie, wann das sein wird, und was gedenken Sie dagegen zu tun? Oder wollen Sie, dass sie alles noch einmal erlebt? Denken Sie bis heute Mittag darüber nach.“
Kapitel 29
Mein Freund ist wieder da. Er heißt Frank und ist schon groß. Aber er hat manchmal Zeit mit mir was zu machen und heute hat er wieder die Wachsmaler mitgebracht. Zu Hause habe ich auch Wachsmaler, aber die sind schon ganz klein. Sie stecken in so Hüllen drin und man kann sie darin nach oben schieben. So kann man auch mit den kleinen Stummeln noch malen.
Sabine hat mir gezeigt, wie ich ein Kratzbild machen kann. Erst muss ich ganz dick verschiedene Farben auf ein Blatt malen und dann alles mit Schwarz überdecken. In dem Malkasten ist ein weißes Plastikteil mit Zacken an einem und einer Spitze am anderen Ende. Damit kann ich dann Linien durch das Schwarz ziehen und das Bunte kommt wieder durch. Das sieht hübsch aus!
„Hast du Lust zu malen?“
Ich nicke. Meine Wolke hat sich aufgelöst und ich sitze wieder auf meinem Bett. Frank hält mir die Stifte hin und ich nehme einen roten heraus. Rot ist meine Lieblingsfarbe. Auffordernd sehe ich ihn an. Wo ist das Papier?
Zu Hause haben wir immer Papier, wo schon was draufsteht. Papa bringt es von der Zeche mit. Die andere Seite ist noch weiß und er meint, da kann man genauso gut drauf malen, wie auf anderem Papier. Ich glaube, Frank hat das Malpapier vergessen.
Ich sehe auf meinen Gips. Da ist noch genug Platz. Also fange ich an eine Sonne zu malen. Sie ist rund und ihre Strahlen gehen in alle Richtungen. Am Ende male ich ihr noch ein lachendes Gesicht. Sie ist nicht böse. In der Geschichte vom Häwelmann ist die Sonne sehr böse. Die mag ich nicht.
Frank nimmt einen Wachsmaler in grün und kommt zu mir herüber. Ich kann kaum glauben, was er da macht! Er malt die Wand an! Ein langer gebogener grüner Strich mit zwei Blättern dran ist genau über der Längsseite meines Bettes zu sehen. Ich weiß, was das wird! Eine Blume! Genauso eine schöne, wie er mir auf den Gips gemalt hat. Frank nimmt einen lilafarbenen Stift und malt eine ganz tolle Blüte.
Ich starre die Wand an und schüttle den Kopf. Das wird Ärger geben! Vielleicht darf Frank dann nicht mehr zu mir kommen. Ob wir das noch abwischen können?
„Versuch es auch mal.“
Ich schüttle den Kopf. Warum hat er das gemacht? Wir dürfen die Wände nur anmalen, wenn Papa vorhat zu tapezieren. Vielleicht soll hier ja auch tapeziert werden.
Frank hat einen braunen Stift genommen und malt ein Haus. Ich würde ja auch gerne, aber ich will keinen Ärger bekommen. Vorsichtig wische ich über einen der Striche. Die Farbe verschmiert ein bisschen, geht aber nicht ganz ab. Vielleicht mit einem Waschlappen?
„Nun mach doch. Keine Angst. Es wird niemand mit dir schimpfen.“
Ich hole tief Luft. Die Wand ist ja eh schon beschmiert. Vielleicht kann ich ja was Kleines malen? Ich setze den roten Stift ganz unten an und male einen Kreis. Frank lächelt mich an. Ich male mehr Kreise.
„Was ist das?“, will er wissen.
„Blut“, sage ich.
Kapitel 30
Früher
Die Schuluntersuchung soll bald stattfinden und ich bin schon ganz aufgeregt. Ich frage Mama, was da passieren wird, aber sie weiß es nicht mehr. Also frage ich Sabine.
Meine große Schwester ist jetzt immer beschäftigt und hat kaum noch Zeit für mich. Sie ist lange in der Schule und isst gar nicht mehr mit uns zusammen zu Mittag. Dann muss sie Hausaufgaben machen und wir dürfen sie dabei nicht stören. Nachmittags trifft sie sich mit Freunden aus der Schule oder lernt Vokabeln. Sonst will sie auch lieber ihre Ruhe haben, lesen oder fernsehen. Spielen will sie gar nicht mehr mit mir.
„Du, was passiert denn da bei der Schuluntersuchung?“, versuche ich Sabine anzusprechen, die auf der Couch im Wohnzimmer sitzt und ein Buch liest.
„Was soll denn da wohl passieren?“, fragt sie zurück und ich höre
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