Die Sünde in mir
schon, dass sie nicht mit mir reden will. Vielleicht ist sie sauer, weil ich jetzt immer mit Tanja spiele?
„Was muss ich denn da machen? Mama hat gesagt, ich soll dich fragen.“
Sabine seufzt und guckt hinter ihrem Buch hervor. Sie ist blass geworden und dünn. Ob sie krank ist?
„Das ist wie beim Kinderarzt“, erklärt sie mir, „Du wirst gewogen und gemessen und untersucht. Dann stellt dir der Arzt noch ein paar Fragen und du musst auf einem Bein stehen, glaube ich.“ Sie denkt nach. Es ist ja auch schon lange her, seit sie bei der Schuluntersuchung war. Jetzt geht sie schon auf die Realschule.
„Wenn du den Sehtest machen musst, und du sollst dir ein Auge zuhalten, dann drück nicht so fest“, rät sie mir.
„Ich konnte damals gar nichts mehr sehen, weil ich mir das Auge so fest zugedrückt habe. Mama musste dann mit mir auch noch zum Augenarzt.“
Das merke ich mir sofort. Probeweise halte ich mir schon mal ein Auge zu und gucke mit dem anderen auf ein Bild an der Wand. Dann wechsele ich. Mit dem anderen Auge kann ich genauso gut gucken. Als ich wieder zu Sabine sehe, hat sie ihr Buch vors Gesicht gehoben. Anscheinend will sie mir nichts weiter erzählen.
„Bist du böse auf mich?“, frage ich ganz leise. Es fühlt sich nicht gut an von ihr nicht beachtet zu werden.
„Quatsch“, sagt sie.
„Spielst du dann was mit mir?“
„Nein. Ich lese. Spiel doch mit Tanja.“
„Die spielt nur Babyspiele.“
„Na und? Ich musste mit dir auch immer Babyspiele spielen.“
Verlegen kratze ich mit dem Fuß über den alten roten Teppich mit den Fransen vorne an der Kante. Wenn ich Langeweile habe, kämme ich die manchmal.
„Können wir nicht was zusammen machen?“, bettele ich noch einmal. Ich will so gerne die Schwester zurückhaben, die ich vor Kurzem noch hatte.
„Ich muss das für die Schule lesen. Geh und nerv wen anders“, motzt Sabine mich an. Traurig trolle ich mich ins Kinderzimmer. Tanja sitzt auf dem Boden und spielt mit kleinen Plastiktieren. Erwartungsvoll sieht sie mich an.
„Spielst du mit mir?“
Ich bin hin und her gerissen. Am liebsten würde ich ihr sagen, sie soll mich in Ruhe lassen, aber langweilig ist mir auch. Mit den Tieren kann man Bauernhof spielen, oder Zoo. Ich hocke mich zu ihr auf die Erde und sehe mir an, wie sie die Plastikfiguren aufgestellt hat.
„Du musst ihnen Ställe bauen“, sage ich.
„Und womit?“
„Hol mal den Eimer mit den Bauklötzen.“
Tanja ist immer eifrig dabei, alles anzuschleppen, was ich haben will. Da kommt sie auch schon. Der Eimer ist so schwer, dass sie ihn kaum tragen kann. Wenige Zentimeter über dem Boden schwebt der schwere Plastikbehälter, den Mama uns für die Bauklötze gegeben hat. Tanjas Gesicht ist vor Anstrengung ganz rot.
„Und jetzt?“, fragt sie, als sie den Eimer neben mir abstellt.
„Jetzt bauen wir ihnen einen ganz schönen Stall!“
Kapitel 31
„Haben wir schon die Blutwerte von Nicole?“, fragte Dr. Fabian und linste mal wieder über Schwester Giselas Schulter. Neben dem Monitor, der die Überwachungspatienten in ihren Zimmern zeigte, stand noch ein normaler PC, auf dem die Daten abgerufen werden konnten.
„Du magst dein Büro wohl nicht“, meinte Gisela amüsiert und tippte Nicoles Namen ein.
„Das ist so weit weg. Da fühle ich mich so einsam“, neckte Frank sie.
„Okay, hier ist es. Nichts Besonderes, soweit ich sehen kann.“
Frank ließ seinen Blick über die Zahlen und Abkürzungen gleiten. Gisela hatte recht. Mit dem Blutbild war alles in Ordnung.
„Ist der Drogentest auch schon fertig?“
Gisela scrollte weiter nach unten.
„Negativ. Hatte ich auch nicht anders erwartet“, seufzte Frank.
„Was suchst du? Eine seltene Krankheit?“
Er verzog den Mund.
„Nach mir ist jedenfalls noch keine benannt worden“, stellte er fest.
Gisela schüttelte den Kopf, grinste aber.
„Was macht sie denn, wenn ich nicht da bin?“, wollte der Arzt nun wissen.
„Die meiste Zeit liegt sie nur da und starrt an die Wand. Neuerdings betrachtet sie offenbar dein Gemälde, von dem der Professor übrigens nicht wirklich begeistert war. Ich glaube, den Sinn musst du ihm noch mal erklären, oder die Reinigung der Wand übernehmen. Manchmal singt sie auch.“
Frank horchte auf.
„Sie singt? Was denn?“
„Ich habe ja eigentlich nur dieses stumme Bild, aber ich kann mich in die Zimmer schalten. Da habe ich einmal reingehört, als sie ein Schlaflied
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