Die Sünde in mir
wusste, dass sie hier Anwendung fand.
„Wäre es nicht toll, wenn Nicole dadurch geheilt werden könnte?“
„Ich weiß nicht“, blieb Frank skeptisch, „soviel ich verstanden habe, kommt die Erinnerung dadurch zurück. Was wird passieren, wenn sie sich an die Tat erinnert? Wird das nicht ein erneutes Trauma auslösen? Vielleicht sogar einen Rückfall?“
Gisela seufzte und starrte in ihren Kaffee. Frank war so ernst in letzter Zeit. Sie vermisste seinen Humor und seinen Elan. Fast wirkte er selbst etwas depressiv.
„Sie kann nicht ewig in diesem Zustand bleiben. Ich glaube nicht, dass es schön für sie ist, sich nicht mitteilen zu können. Nicht mal bewegen kann sie sich, soviel ich weiß.“
„Ja. Es ist schlimm sie so zu sehen“, bestätigte er, „und ich weiß nicht, wie ich ihr helfen soll.“
„Hab ein bisschen Vertrauen. Hier wollen alle nur das Beste für Nicole.“
Frank schluckte nicht nur den Kaffee mühsam hinunter, sondern auch einen dicken Kloß, der ihm die Kehle verschloss. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache.
„Was ist, wenn es schief geht?“, fragte er leise.
Kapitel 74
Jemand dreht mich auf die Seite und ich fühle warmes Streicheln auf meinem Rücken. Sie waschen mich. Schon wieder. Mittlerweile weiß ich, wie sich das anfühlt. Erinnerungen steigen in mir auf. Ich glaube, dass der Deckel nicht mehr hält und all die Dinge nun herauskommen, die ich vergessen wollte. Ich kann es nicht mehr aufhalten.
Wie in einem Film laufen Szenen vor meinen Augen ab und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ein Stummfilmkino, dem ich mich nicht entziehen kann.
Geschmückte Tannenbäume, Sabine in einem roten Kleid und weißen Kniestrümpfen, mein Puppenwagen, die Wiese hinter unserem Haus, Birgit und Britta die Seilchen springen und auf mich warten, zwei große Jungen, Tanja, die wie ein Engel aussieht, Mama fein gemacht für die Kirche, unsere Katze Lu.
Immer schneller kommen die Bilder. Ich kann sie nur ansehen, nicht einordnen. Ich kann sie auch nicht langsamer werden lassen, obwohl ich es versuche, denn da ist Oma! Sie liest mir etwas vor, mein Cousin kommt, Oma verhaut ihn mit dem Mensch Ärgere Dich nicht Brett. Alles geht so schnell! Ich will stopp rufen, aber es kommt kein Ton heraus.
Sie drehen mich auf die andere Seite. Mir ist kalt. Jemand deckt mich zu. Ihre Stimmen sind da, aber weit hinten. Ich muss mich konzentrieren, um sie zu hören. Die Bilder sind mir wichtiger.
Papa holt mein Fahrrad aus dem Keller, Mama kommt ans Küchenfenster und gibt mir einen Apfel, Tanja liegt auf der Wiese, das Gesicht voll Gras, die Tanten vom Kindergarten, ein aufgeschlagenes Knie, das rote Tretauto.
Mir wird schwindelig, so schnell rasen die Bilder durch meinen Kopf. Dann ist es auf einmal vorbei. Ich sehe nur noch weiß, so als würde ich auf eine Wand starren.
Ich warte, aber da kommt nichts mehr. Der Film ist vorbei. Rein vorbei.
Jemand beugt sich über mich. Ich sehe nur verschwommen. Oder war da niemand? Habe ich mir alles nur eingebildet? Ich würde gerne den Kopf drehen, aber es geht nicht.
„Heute ist ein großer Tag.“
Ich zucke zusammen, weil ich meine, Wolfs Stimme zu erkennen. Wie hat er mich gefunden? Oder bin ich auf seiner Krankenstation? Mein Herz pumpt schneller. Über mir piept es schrill und nervig.
„Heute gehst du zurück in dein altes Leben. Vergiss mich nicht.“
Im Zimmer wird es hektisch. Viele Leute laufen herum, machen Krach, schreien. Ich konzentriere mich auf Wolfs Stimme.
„Ich werde dich überall finden. Du kannst dich nicht verstecken. Bald komme ich dich besuchen.“
Ich kriege keine Luft mehr! Meine Lunge brennt! Die Muskeln spannen sich an, werden steif. Ich kann nichts machen. Es tut so weh!
„Sie krampft!“
„Gib die Spritze her!“
„Sollen wir nicht auf Dr. Sanders warten?“
„Sieh sie dir doch an! Sie erstickt! Steck ihr was zwischen die Zähne!“
„Ich krieg nichts rein. Kiefersperre! Wir können auch nicht intubieren. Was jetzt?!“
„Warte! Die Spritze wirkt gleich. Ruhig! Gleich geht es besser.“
„Sie reagiert nicht drauf! Verdammt!“
„Doch! Lass ihr noch etwas Zeit. Komm schon, Mädchen, zeig uns, dass du kämpfen kannst.“
„Ich glaube, es lässt nach. Sie wird schlaff.“
„Sieh nach, ob sie sich auf die Zunge gebissen hat!“
„Blutet ein bisschen. Nein, das kommt
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