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Die Sünde in mir

Die Sünde in mir

Titel: Die Sünde in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alegra Cassano
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sind viel kürzer und sie ist wahnsinnig dünn. Ihr Arm ist wie ein Knochen, der mit Haut überspannt wurde.
    „Aber wir müssen die Couch ausziehen, sonst kannst du nicht schlafen.“
    Mühsam quäle ich mich hoch. Mir ist schwindelig und ich muss aufs Klo. Unter der Decke war es so schön warm. Ich will sie am liebsten mit ins Bad nehmen, aber das geht nicht. Also lasse ich sie auf den Boden fallen und gehe einfach dahin, wo ich das Klo vermute. Da ist es. Ich sitze auf der Toilette und starre die Waschmaschine vor mir an. Sie hat zwei silberne Knöpfe und einen schwarzen. Die Buchstaben fallen mir auf. Wie oft habe ich sie angestarrt, als ich hier gesessen habe? Ich kenne diese Waschmaschine.
    Neben mir befindet sich das grüne Waschbecken, über dem der kleine Spiegelschrank hängt, in dem Papas Rasiersachen sind und Mamas Haarspray. Daneben hängen die Handtücher und dann kommt die Badewanne, die auch grün ist. Ich muss an Tanja denken und daran, wie wir hier gebadet haben. Wo ist sie nur geblieben? Kommt sie noch? Aber wo soll sie dann schlafen? Auch auf der komischen Couch?
    Ich putze mich ab, drücke auf den silbernen Knopf der Toilette und sehe zu, wie das Papier im Strudel verschwindet. Dann wasche ich mir die Hände. In den Spiegel gucken kann ich nicht, denn der hängt zu hoch. Während ich mich abtrockne, wandert mein Blick zum Rand der Badewanne. Da stehen die Flaschen mit Badeschaum. Sie sind geformt wie die Figuren der Sesamstraße. Ich habe Bibo und Ernie. Die Flaschen sind schon leer, aber ich durfte sie zum Spielen behalten. Sie sind noch da! Ich bin durcheinander. Wenn das hier gar nicht mein zu Hause ist, wie können diese Dinge dann hier sein?
    Langsam schleiche ich mich zurück ins Kinderzimmer. Die Couch ist jetzt ein großes Bett. Auf einem Kissen in der Mitte liegen Sabines Kuscheltiere und meine Puppen. Ich sehe Anja und meine arme, alte Puppe, die hier bleiben musste.
    „Du schläfst da“, sagt Sabine und zeigt auf die Seite, die zur Wand geht. Sie schläft auf der Fensterseite. Ich lege mich hin und ziehe mir die Bettdecke mit der vertrauten Blümchenbettwäsche bis über den Kopf. Ich höre, wie Sabine sich fertigmacht, herum läuft, wie Wasser im Bad rauscht. Dann kommt sie zurück und macht das Licht aus und legt sich hin.
    „Na, wie war’s denn in der Kur, Nicky?“, flüstert sie.
    Ein Schreck durchfährt mich. Wir dürfen doch nicht sprechen! Dann fällt mir ein, dass ich ja jetzt woanders bin. Zu Hause?
    „Wo ist Tanja?“, frage ich ganz leise. Nur zur Sicherheit.
    „Nicht mehr da. Gott sei Dank!“
    „Was ist denn passiert?“
    „Ich weiß nicht. Als ich kurz vor den Ferien aus der Schule kam, war sie weg und ihr Kram auch. Dann haben wir das Zimmer neu gemacht und ich durfte den Teppich und das Bett aussuchen. Schön, nicht?“
    Nein! Ich finde es gar nicht schön! Aber das kann ich ja nicht sagen, also sage ich nichts.
    „Oma ist gestorben“, sagt Sabine nach einer Weile. Ich reiße die Augen auf und mein Herz bleibt stehen.
    „Wir sind alle ins Krankenhaus gegangen, auch Tanja. Am Abend war Oma dann tot.“
    Tanja! Meine Wut auf sie kommt explosionsartig zurück. Bestimmt ist sie schuld, wie bei Lu! Gut, dass sie weg ist! Gut, dass Wolf sie geholt hat!
    „Mama sagt, es sei besser so für Oma, aber geweint hat sie trotzdem ganz viel. Ob sie auch so viel weinen würde, wenn ich weg wäre?“
    Ich liege stocksteif im Bett. Was hat Sabine da gesagt? Ist es nicht schlimm genug, dass Oma weg ist? Will sie jetzt auch noch gehen?
    „Du lässt mich doch nicht alleine?“, frage ich bange.
    Lange ist es still und ich denke schon, meine Schwester antwortet mir gar nicht mehr. Dann flüstert sie: „Manchmal möchte ich nur noch weg von hier, egal wohin. Ich habe dich so beneidet, als du ans Meer fahren durftest.“
    Ich stopfe mir den Zipfel des Kissens in den Mund und lasse die Tränen laufen. Wie man lautlos weint, habe ich in der Kur gelernt.
    „Jetzt sag doch mal, wie es da war“, drängt Sabine. Ich tue so, als würde ich schon schlafen, dabei löst sich gerade alles in mir auf. Oma ist tot! Ich werde sie nie mehr sehen. Ich soll nicht traurig sein, hat sie gesagt. Sie ist jetzt wieder bei ihren Kindern. Ich versuche mir das vorzustellen. Eine lächelnde Oma, die zwei Jungen im Arm hält. Aber ich will viel lieber, dass sie mich im Arm hält! Ich will nicht, dass sie weg ist! Das Kissen saugt sich mit Sabber und Tränen voll. Sabine atmet ruhig neben mir und

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