Die Sünde in mir
scheint zu schlafen.
Kapitel 79
„Guten Tag, Herr Schütz“, Professor Wieland schüttelte dem Mann die Hand. Dann sah er auf den zweiten Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand.
„Hallo, du musst Denise sein. Schön, dass du mitkommen konntest.“
Das junge Mädchen saß vorgebeugt, die Hände an die Stuhllehnen gekrallt. Ihr Pony hing vor den Augen, wie ein Vorhang.
„Wir müssen nicht über die Tat reden“, beruhigte der Professor sie sofort.
„Sie wollte unbedingt mitkommen und ihre Therapeutin meinte, dass das ein wichtiger Schritt sein könnte“, erklärte Herr Schütz. Die Situation schien ihm unangenehm zu sein. Professor Wieland setzte sich hinter seinen Schreibtisch und schwieg lange. Manchmal war Schweigen besser, als auf jemanden einzureden. Die meisten Menschen fingen irgendwann von alleine an zu erzählen.
„Ich möchte aber darüber reden“, kam es endlich von Denise. Sie hob trotzig den Kopf und schüttelte den Pony nach hinten. Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter war sofort zu erkennen.
„Gut. Fang einfach an. Ich höre zu.“
Herr Schütz räusperte sich und rutschte auf dem Stuhl herum.
„Möchten Sie lieber draußen warten?“, fragte Professor Wieland.
„Nein.“ Er schlug die Beine übereinander und sah zu seiner Tochter.
„Mama hat den ganzen Tag geputzt“, fing Denise an zu berichten, „mit der Spülmaschine war etwas nicht in Ordnung. Sie hat die Servicenummer angerufen, aber selbst noch an den Sieben herumgefummelt.“
Der Professor sah das Mädchen aufmerksam an, ohne etwas dazu zu sagen.
„Ich war oben. Es hat an der Tür geklingelt und ich dachte, meine Freundin wäre da, weil wir noch zusammen lernen wollten. Ich bin runter gegangen und Mama kniete vor der Spülmaschine auf dem Boden. Sie drehte sich zu mir um, aber als sie sah, dass ich zur Tür ging, machte sie mit dem was sie da tat weiter.“
Immer noch stellte der Professor keine Fragen, hörte nur aufmerksam zu. Denise warf ihrem Vater einen Seitenblick zu, wandte sich dann aber wieder an den Professor.
„Es war der Mann von der Küchenfirma. Er hatte einen Werkzeugkoffer dabei, aber er trug keinen Overall oder so was. Es war ja auch sehr heiß an dem Tag. Ich habe ihn hereingebeten und den Weg zur Küche gezeigt. Dann wollte ich wieder nach oben, aber … Mama hat geschrien und es gab einen komischen Knall und da bin ich wieder zurückgegangen.“
Denise sah Professor Wieland so intensiv an, dass es ihm unangenehm wurde.
„Möchtest du weitererzählen?“, fragte er.
Herr Schütz hatte die ganze Zeit nur da gesessen, wandte sich jetzt aber seiner Tochter zu. Sie schluckte und fuhr dann fort: „Überall war Blut. Ich habe erst gar nicht begriffen, was los war. Der Mann lag auf dem Boden. Mama …“
Eine Träne löste sich und Denise wischte sie wütend weg.
„Es war nicht meine Mutter, da in der Küche“, sagte sie mit fester Stimme. „Die Frau, die dort war, habe ich nicht gekannt.“
Schweigen trat ein. Die Zeit schien stillzustehen, obwohl eine Uhr laut und vernehmlich tickte. Denise sah nun verzweifelt aus. Ihr Pony fiel wieder über die Augen.
„Du hast etwas Furchtbares gesehen“, begann der Professor, „es ist schwer zu begreifen, dass ein Mensch, den man liebt, etwas derart Schreckliches tun kann. Aber es nützt nichts, das zu verleugnen. Deine Mutter ist krank. Die Frau, die du in der Küche gesehen hast, war deine Mutter und wiederum war sie es nicht. In jedem Menschen steckt ein Tier, das nur seinen Urinstinkten folgt. Etwas an der Situation oder an dem Mann muss in deiner Mutter etwas freigesetzt haben, eine schlimme Erinnerung zum Beispiel. Deshalb hat ihr rationaler Verstand umgeschaltet auf den Lebenserhaltungstrieb. Sie hat sich bedroht gefühlt.“
„Aber der Mann hat nichts getan“, begehrte Denise auf.
„Er muss nichts getan haben“, stimmte der Professor zu.
„Vielleicht hat er nur so ausgesehen, wie jemand, der deiner Mutter früher einmal etwas angetan hat. Vielleicht hat er eine bestimmte Bewegung gemacht, ein Reizwort ausgesprochen …“ Professor Wieland stutzte.
„Was ist?“, fragte Denise aufgeregt.
„Erzähl mir bitte noch mal ganz genau, wie sich alles abgespielt hat.“
Kapitel 80
Frank ist da! Er hat mein Bett hochgestellt, sodass ich sitzen kann. Es ist schön, mal nicht zu liegen. Ein bisschen kann ich meine Finger bewegen und er freut sich darüber und lobt
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