Die Sünde
legte Wegner ein Schreiben auf das Rednerpult.
»Ist eben reingekommen, Herr Wegner. Ich denke, es ist sehr wichtig!«, stieß sie aufgeregt hervor.
Wegner nahm das Blatt Papier in die Hand und las. Die Mitglieder der Soko hingen gespannt an seinen Lippen als er das Schreiben vor sich wieder ablegte. »Frau Lelle, buchen Sie für zwei Personen sofort den nächstbesten Flug nach Berlin. Wir dürfen keine Zeit verlieren!«
»Von welchem Flughafen?«
»Das ist egal. Frankfurt oder Stuttgart. Wo es am schnellsten geht.« Wegners Stimme wurde bestimmter: »Na, machen Sie schon!«
»Sehr wohl, Chef«, antwortete Frau Lelle, drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Raum.
»Meine Damen, meine Herrn, es kommt Bewegung in den Fall.« Wegner hielt demonstrativ das Schreiben in die Höhe. »Das LKA Berlin teilt soeben mit, dass es beim Abgleich der DNA von Vermissten zu einem Treffer gekommen ist. Der uns übersandte linke Mittelfinger gehörte unzweifelhaft einem Gottwald Radecke aus Berlin. Er gilt seit sechs Tagen als vermisst. Über die Umstände seines spurlosen Verschwindens liegen keinerlei Erkenntnisse vor. Radecke ist homosexuell. Sein Lebensgefährte hat Anzeige bei den Kollegen in Berlin erstattet. Es wurden bislang keine Suchmaßnahmen eingeleitet.«
Ein Raunen ging durch die Reihen der Anwesenden. Sie steckten die Köpfe zusammen und begannen aufgeregt zu diskutieren.
»Ich darf doch sehr bitten!«, unterbrach Wegner mit lauter Stimme. »Herr Wohlers, Sie prüfen sofort nach, ob es zwischen dem Vermissten und unseren Tatverdächtigen eine Verbindung gibt.« Der Angesprochene erhob sich von seinem Platz und ließ sich von Wegner das Schreiben aushändigen.
»Machen Sie bitte 40 Kopien und verteilen Sie die an alle Kolleginnen und Kollegen!«, ergänzte Wegner. »Wir dürfen keine Sekunde verlieren.« Der Soko-Leiter schaute in die Runde. »Kriminalkommissar Goll, Sie überprüfen bitte, ob der Vermisste irgendeinen Bezug zu Heidelberg hat. Durchforsten Sie alle nur erdenklichen Quellen. Es darf uns nichts entgehen.«
Wieder sah sich Wegner um. Sein Blick blieb auf Kriminaloberkommissar Hauk haften. »Herr Hauk, Sie kümmern sich um die Arbeitsstelle des Vermissten und besorgen von ihm aktuelle Bilder. Wie Sie das machen, ist Ihre Sache. Ich möchte in einer Stunde ein Bild auf dem Tisch haben, ist das klar?«
Hauk erhob sich. »Okay, Chef.«
»Sobald Sie ein brauchbares Bild haben, entwerfen Sie bitte ein Fahndungsplakat. Wir brauchen Zeugen, die diesen Herrn Radecke entweder in Berlin oder hier in Heidelberg zuletzt gesehen haben oder uns sonstwie weiterhelfen können.« Wegner atmete tief durch, bevor er weitere Order gab.
»Faber, Sie nehmen die Familie des Opfers unter die Lupe. Ich will wissen, aus welchem Haus dieser Radecke stammt, wie viele Angehörige er hat, wie die heißen, ob einer davon schon straffällig geworden ist, welche Beziehungen und Kontakte die Familie untereinander pflegt.«
Wegner benötigte noch etwa zehn Minuten, bis er sicher war, alle wichtigen Aufgaben verteilt zu haben. Nawrod und Yalcin hatten noch keinen Auftrag erhalten. Sie sahen sich fragend an. Da abermals lautes Gemurmel aufgekommen war, klatschte Wegner in die Hände und fuhr fort. »Meine Damen, meine Herren, Ihre Ermittlungen führen Sie bitte zunächst ausnahmslos verdeckt durch. Das heißt, dass Sie vorerst nicht direkt auf etwaige Zeugen oder Familienangehörige zugehen. Wir warten damit, bis Frau Yalcin und Kollege Nawrod in Berlin den Lebensgefährten des Vermissten ausführlich befragt haben. Wälzen Sie zwischenzeitlich Akten und nehmen Sie Kontakte zu Ämtern und Behörden auf. Halten Sie Adressen, Telefonnummern und jedes noch so kleine Detail fest. Ich möchte, dass Sie so lange 200 Prozent Leistung bringen, bis wir den Fall geklärt haben. Und nun an die Arbeit.«
Die Anwesenden erhoben sich und verließen den Besprechungsraum.
Wegner sah in Richtung Yalcin und Nawrod. »Einen Moment bitte!«, rief er ihnen zu. Die beiden blieben stehen.
»Dieser Herr Weiß wird Ihnen sicher einiges sagen können. Sobald Sie die Zitrone ausgepresst haben und mir telefonisch grünes Licht geben, lasse ich die Meute von der Leine.«
»Wir sind schon unterwegs«, antwortete Nawrod entschlossen.
»Wie ich Frau Lelle kenne, sind Ihre Tickets bereits am Flughafen hinterlegt. Den Berliner Kollegen werde ich Ihr Kommen ankündigen und sie bitten, dass man Sie gleich nach der Landung direkt zur Wohnung des
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