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Die Sünde

Die Sünde

Titel: Die Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Feller
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ausfindig machen und es ihnen sagen. Womöglich haben sie sich die ganze Zeit Vorwürfe gemacht. Sie haben ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren.«
    »Der Anblick von Radecke war grässlich, oder?«
    »Ja, Nesrin, das war ein schreckliches Bild.«
    »Ich frage mich, ob er es verdient hat? Ich meine, der Mann wird nie wieder sprechen, nie wieder mit der linken Hand etwas greifen können.«
    »Er und die anderen haben drei Menschen in den Tod getrieben und weiß Gott wie viele Leben zerstört. Egal, wie jemand gestrickt ist, er wird immer unter dem Trauma des Missbrauchs zu leiden haben.«
    »Ich hoffe, Dreyer kommt durch.«
    »Ja, das hoffe ich auch. Für dich. Ich kenne das Gefühl.«
    »Es ist ein Scheißgefühl, einen Menschen erschossen zu haben.«
    »Ich weiß.«
    »Es kommt erst, wenn die Schüsse längst verhallt sind.«
    »Und es kommt wie ein Faustschlag ins Gesicht. Man kann sich nicht wehren.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es, das genügt. Wenn Dreyer durchkommt, werden sie ihn in die Psychiatrie stecken. Da bin ich mir fast sicher.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Er sieht sich als rechte Hand Gottes, als von dem Allmächtigen ernannten Vollstrecker, der die katholische Kirche heilen und von den Frevlern befreien wollte. Er ist so posttraumatisiert, dass er glaubt, jeder zweite Priester sei ein Päderast, was natürlich totaler Blödsinn ist. Sicher gab es unter dem Deckmantel der Kirche schon immer sexuellen Missbrauch von Kindern, und es wird ihn auch immer wieder geben. Aber das sind Ausnahmen. Man kann nicht alle Geistlichen über einen Kamm scheren, und bei aller kritischen Betrachtung sollte man nicht vergessen, dass die Kirchen viel Gutes tun und ihren Gläubigen einen Halt geben.«
    »Bist du Katholik?«
    »Ja, ich wurde katholisch getauft und zahle Kirchensteuer. Aber das ist alles, was mich mit der Kirche verbindet.«
    »Ich darf gar nicht dran denken, was Dreyer als Kind durchmachen musste. Diese Schweine. Für mich ist so etwas unvorstellbar.«
    »Mit seiner zerstörten Psyche konnte er kein normales Leben führen. Er konnte nie mit einer Frau zusammen sein. Es ist verrückt. Obwohl er von schwulen Böcken vergewaltigt wurde, fühlte er sich in gewisser Weise zum Schwulenmilieu hingezogen, doch er war nie fähig, mit einem Mann eine Beziehung einzugehen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Er hat es mir erzählt. Haider lernte er im Fresh Gay kennen, wo er in Frauenkleidern auftrat.«
    »Glaubst du, dass er allein durch die an ihm begangenen Gewalttaten ein mörderischer Psychopath wurde?«
    »Ich denke ja. Aber das wird ein Gutachter festzustellen haben, falls Dreyer überlebt.«
    »Für mich ist es erstaunlich, dass er mit einer derart gestörten Psyche studieren und Arzt werden konnte.«
    »Dreyer ist zweifellos sehr intelligent. Wahrscheinlich war er schon immer von dem Gedanken beseelt, Rache zu üben und das, wie er sich ausdrückte, Krebsgeschwür in der katholischen Kirche zu bekämpfen. Deshalb studierte er zunächst Theologie. Und als er da nicht weiterkam, wechselte er zur Medizin. Er wollte Onkologe werden, wahrscheinlich deshalb, weil sich in ihm eine Art Krebssyndrom verankert hatte. In seinen Wahnvorstellungen sah er wohl überall Krebs und Metastasen, die es auszumerzen galt.«
    Nawrod hielt sich über zwei Stunden bei Yalcins Eltern auf. Als er ging, hatte er das Gefühl, alles ins Lot gebracht zu haben. Er rief ein Taxi und ließ sich zu seinem Wagen fahren. Anschließend fuhr er in die Stadt zurück. Er überlegte, ob er Sabine Bauer anrufen sollte. Jetzt zu seiner Wohnung nach Stuttgart zu fahren, würde sich nicht mehr lohnen. Es war inzwischen 1   :   45   Uhr und Wegner hatte ja darauf bestanden, dass er den Bericht um 10   Uhr des beginnenden Tages abzuliefern hatte. Nawrod hielt in einer Parkbucht an und zog sein Handy aus der Tasche. Die Nummer der Kriminaltechnikerin hatte er gespeichert. Er betätigte die Ok-Taste und lauschte dem automatischen Wählvorgang. Nach vier oder fünf leisen Signaltönen betätigte er die Taste mit dem kleinen roten Telefonhörer. Das Handy verstummte. Die Nummer auf dem Display erlosch.
    »Gleich morgen früh werde ich Eva anrufen«, murmelte Nawrod zu sich selbst. »Ich werde ihr sagen, dass ich sie und Samia unter keinen Umständen aufgeben werde. Ich werde um uns kämpfen und endlich das tun, was ein Mann, ein guter Vater verdammt noch mal zu tun hat.«
    Er fuhr zum Präsidium und machte es sich auf dem Schreibtischstuhl

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