Die Sünde
bequem. Das verletzte Bein legte er auf den Schreibtisch. Durch das Loch in der Hose sah er, dass der Verband, den ihm ein Rettungssanitäter angelegt hatte, nicht durchgeblutet war. Er verspürte kaum noch Schmerzen. Eine tiefe Zufriedenheit machte sich in ihm breit. Er hatte das Gefühl, sich noch einmal bei Yalcin bedanken zu müssen, und griff zum Telefonhörer. Sie war sofort dran.
»Hey, Kleine, liegst du noch nicht im Bett?«
»Doch, aber ich bringe kein Auge zu. Ich sehe immer wieder die Leiche in der Badewanne und den vom Wahnsinn befallenen Radecke vor mir. Wo drückst du dich herum? Bist du nicht nach Hause gefahren?«
»Ja, das waren schon grässliche Bilder«, wich Nawrod aus. »Daran werden wir noch eine Weile zu knabbern haben.«
»Ich fühle mich wie ein von einem Orkan aufgewühltes Meer.« Yalcins Stimme vibrierte merklich.
»Soll ich zu dir kommen?«
»Hey, Mister, das würde nicht gutgehen.«
»Ich dachte nur, falls du Angst hast, alleine zu sein? Und warum soll das nicht gutgehen?«
»Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen soll. Das geht eigentlich nur mich was an.«
»Jetzt zick nicht herum wie der Papst im Puff!«
»Hey, Mann, ich hab dich heute Nacht dem Teufel von der Schippe gepustet. Du lebst und bist ein Mann im besten Alter. Ich hab keinen Schimmer, wieso du plötzlich auf meinem Radarschirm erscheinst. Kapiert?«
Nawrod schluckte. »Du hast … wo erscheine ich?« Er verstand.
»Ich muss verrückt sein, dass ich dir das sage. Vergiss es! Sofort! Hörst du?«
»Nesrin, du bist der beste Mensch, der mir seit Jahren begegnet ist. Ich könnte nie mit dir …«
»Ich hab gesagt, du sollst es vergessen. Meinst du im Ernst, ich würde hier ein Altenheim aufmachen?« Sie lachte, doch ihr Lachen klang nicht echt. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, wo du bist.«
»Im Büro.«
»Was suchst du im Büro?«
»Schau mal auf die Uhr. Es ist 3 : 40 Uhr. Nach Stuttgart zu fahren, lohnte sich nicht mehr.«
»Dann sehen wir uns in spätestens vier Stunden, Partner. Halt die Ohren steif und versuche, etwas zu schlafen.«
»Du auch. Und Nesrin, danke, dass du mich dem Teufel von der Schippe gepustet hast.«
Nawrod lehnte sich zurück. Völlig erschöpft schloss er die Augen. Und dann kamen sie, diese grässlichen Bilder. Er wusste, sie würden ihn niemals mehr loslassen.
Nachwort
Im Gegensatz zu meinen Dokumentationen »Die Samaritermaske« und »Das Gesicht des Todes« ist dieses Buch ein Roman. Doch kann ich nicht behaupten, dass alle Personen, Orte und Begebenheiten frei erfunden sind. Es gab und es gibt sie immer noch, die Opfer und Täter. Jene, die auch noch Jahre nach der Tat unsägliches Leid ertragen müssen, weil sie schreckliche Dinge aus ihrer Kindheit nicht vergessen können. Und jene, über die sich in bewährter Weise der Deckmantel der katholischen Kirche gebreitet hat, um sie vor der Öffentlichkeit und dem Zugriff der Justiz zu schützen. Denn jede bekannt gewordene Tat hat zwangsläufig Kirchenaustritte und Abfälle vom christlichen Glauben zur Folge.
Es ist ein heikles Thema, dem ich mich in meinem zwölften Buch gewidmet habe. Um so mehr muss ich mich bei den Personen bedanken, die lebenslänglich Opfer sind und sich, wenn auch nur unter Zusicherung der Vertraulichkeit, überwinden konnten, über ihre schlimmen Erlebnisse zu berichten. Ich werde keinen von ihnen vergessen.
Mein Dank gilt außerdem
• meinen beiden Testleserinnen Elke Butz und Birgit Jennerjahn-Hakenes, die mir eine große Hilfe waren und mich auf manche Fehler aufmerksam machten
• meinem Sohn Alexander, der mir vermittelte, was in der virtuellen Welt des Internets möglich ist
• Alexander Butz, der Nesrin Yalcin einige lockere Sprüche auf die Lippen legte
• Benedikt Steenberg für die lateinischen Übersetzungen, die das Salz in der Suppe sind
• meinem Lektor Johannes Paesler, der mit viel Geduld und fachlicher Kompetenz dem Werk den letzten Schliff gab
• dem Verlagsleiter Ulrich Wellhöfer, der mich mit seiner netten Art von den Qualitäten seines Verlages überzeugte
• und nicht zu vergessen all meinen Leserinnen und Lesern, die meine Bücher mögen und mich damit motivieren, immer wieder den steinigen Weg von der Idee bis zum fertigen Buch auf mich zu nehmen
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