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Die Sünde

Die Sünde

Titel: Die Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Feller
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seines Inneren. Vor seinen Augen tanzte ein Meer von heißen Flammen.
    Als er wieder zu sich kam, sah er zwei kleine Brandmarken unterhalb seines Brustbeins. Sie schmerzten, aber bei Weitem nicht so wie die glühenden Pfeile, die vorher durch seinen Körper gejagt waren. Otte hatte nicht die geringste Ahnung, wie lange er bewusstlos gewesen war. Und so begann ab jetzt für ihn eine zeitlose Zeit, ohne Morgen, ohne Abend, ohne Sonne und ohne Mond.
    In seiner Zelle gab es nichts. Kein Fenster, nicht einmal einen Lüftungsschacht. Lediglich ein Sims, dessen Oberseite mit groben Holzplanken verkleidet war, und einen in einer Ecke befindlichen Abtritt, der aus einem etwa 20   Zentimeter großen, trichterförmigen Loch im braun gefliesten Fußboden bestand. Das Sims diente ihm als Schlafplatz. Die vier leblos grünen Wände waren kahl. Es roch nach frischer Farbe.
    Die vergitterte Lampe an der Decke brannte ununterbrochen. Otte ahnte, dass er aus diesem Verlies nicht mehr lebend herauskommen würde. Er verlor schon sehr bald jegliches Zeitgefühl.
    Sein Essen wurde ihm in einem Teller serviert, der durch die Klappe in der Tür geschoben wurde. Dazu bekam er einen Löffel und einen Becher mit Wasser. Jedes einzelne Teil war aus Plastik. Nach dem Essen musste er alle Gegenstände wieder zurückgeben.
    Jedes Mal, wenn er hörte, wie die Klappe aufgeschlossen wurde, glimmte Hoffnung in ihm auf. Er bildete sich ein, es käme endlich jemand, der ihm eröffnete, dass seine völlige Isolation zu Ende sei. Doch dann gab es wieder nur Essen. Natürlich sah er in gewisser Weise ein, dass er für seine Taten büßen musste. Aber dass diese Strafe so hart, so erbarmungslos und unmenschlich sein würde, überstieg alle seine Vorstellungen, die er bisher von Gefängnissen gehabt hatte. Er war lebendig begraben. Ab und zu hörte er aus dem Loch im Boden das Wasser rauschen. Man war offensichtlich auf eine gewisse Hygiene bedacht, oder zumindest darauf, dass seine Fäkalien nicht das Rohr des Abtrittes verstopften. Toilettenpapier gab es nicht. Auch keine Gelegenheit, sich zu waschen.
    Otte hatte keine Ahnung, wie viele Tage und Nächte vergangen waren, als es ihn das erste Mal erwischte. Zuerst begann er leise zu wimmern, dann liefen ihm Tränen aus den Augen. Dem Wimmern folgte ein verhaltenes Weinen. Plötzlich begann er am ganzen Körper zu zittern. Speichel lief ebenso unkontrolliert aus seinem Mund wie Rotz aus der Nase. Den warmen Urin, der langsam an seinen nackten Beinen herunterlief, nahm er nicht wahr. Als er anfing, so laut zu schreien, dass ihm fast die Halsschlagadern platzten, er mit beiden Fäusten gegen die Tür hämmerte und dann immer wieder wie ein wildes Tier in seiner Zelle auf und ab lief, schaute sein Gefängniswärter mit einem zufriedenen Lächeln durch den Türspion. Ihn kümmerte offenbar nicht, dass Otte während des Haftkollers den Kopf mit voller Wucht gegen die Betonwand schlug und dabei benommen zu Boden ging. Und auch nicht die vom Hämmern gegen die Tür aufgeplatzten, blutigen Hände. Er wartete, bis der Gefangene, der Ohnmacht nahe, zwangsläufig ruhiger wurde. Danach drehte er sich um und begab sich in sein eine Etage höher befindliches Büro.
    Der zweite Haftkoller ließ nicht allzu lange auf sich warten. Er war noch heftiger als der erste. Otte trug eine Platzwunde am Kopf davon. Außerdem war sein rechter großer Zeh gebrochen, weil er völlig unkontrolliert gegen die Tür getreten hatte. Als er, total entkräftet, nach einer tiefen Bewusstlosigkeit wieder zu sich kam, bemerkte er, dass die Zelle überall mit Kot beschmiert war. Sollte er das gewesen sein? Unmöglich. Zögernd roch er an seinen Händen.
    »Ich bin ein Tier geworden, ein armes, eingesperrtes und verwahrlostes Tier«, sagte er leise, um gleich darauf noch einmal aus Leibeskräften loszubrüllen. Aber niemand schien ihn zu hören. Hätte Otte darauf geachtet, hätte er den Schatten des Auges sehen können, das ihn durch den Türspion beobachtete. Er war immer noch nackt, aber er fror nicht, weil der Zellenboden beheizt war.
    Es könnte nach seiner Schätzung zwei oder drei Tage oder auch nur zwei Stunden, vielleicht auch nur zwei Minuten später gewesen sein, als er, dem Wahnsinn nahe, ein Geräusch hörte, auf das er sich zunächst keinen Reim machen konnte. Als es immer intensiver wurde, war er sich sicher, dass jemand ein Loch in die Zellenwand bohrte. Langsam, wie die Sonne hinter einem gewaltigen Bergmassiv, stieg Hoffnung in

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