Die Sünde
früher schon in Heidelberg zu tun gehabt, doch von guten Ortskenntnissen in dieser schönen Stadt konnte nicht die Rede sein. Das Navi lotste ihn direkt zur Polizeidirektion. Vor einigen Jahren hatte er das Gebäude auch aus der Vogelperspektive kennengelernt. Damals flog er bei einem Rauschgifteinsatz mit dem Helikopter über Heidelberg. Aus westlicher Richtung sah das futuristische Gebäude von oben wie eine riesige Vier aus. Nawrod hatte sich damals gewundert, wie man mitten in der Stadt so viel teures Gelände für so wenig Bürofläche verbauen konnte.
Der Dezernatsleiter begrüßte Nawrod mit verhaltener Herzlichkeit. Kurt Wegner war ein alter Hase und stand kurz vor seiner Pensionierung. Mit einer Größe von fast zwei Metern und 110 Kilogramm Körpergewicht war er eine imposante Erscheinung. Sein Händedruck war nicht weniger imposant. Nawrod hatte das Gefühl, ein Zwerg zu sein, der von einem Riesen gnädigerweise mal so per Handschlag willkommen geheißen wurde. Nachdem die üblichen Begrüßungsfloskeln ausgetauscht waren, sagte Wegner in sachlichem Ton: »Ihnen geht ein gewisser Ruf voraus. Wir alle hier wissen, was Sie in Stuttgart geleistet haben. Sieben Morde zu klären ist kein Pappenstiel. Alle Achtung, Herr Kollege.«
Nawrod nickte. »Danke, Herr Wegner.«
»Aber ich sage es Ihnen lieber gleich: Hier sind die Karten wieder neu gemischt. Das heißt, Sie sind Sachbearbeiter wie jeder andere in diesem Dezernat und machen Ihre Arbeit, so wie man es von Ihnen erwartet. Und bitte keine Extratouren! Haben wir uns verstanden?«
Nawrod versuchte, im Gesicht seines Gegenübers herauszufinden, wie er ihn einzuschätzen hatte. War er auch so ein nichtsnutziger, unfähiger Blender wie sein Dezernatsleiter in Stuttgart, oder war er ein Mann mit Format, der wusste, auf was es in diesem Geschäft ankam? Es wird sich sehr bald herausstellen, dachte Nawrod.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihren Arbeitsplatz.« Das Büro lag gegenüber. Nawrod folgte ihm in den kleinen Raum. Dort standen zwei Schreibtische, die mit PC s ausgestattet waren. An einem saß eine junge Frau mit langen, pechschwarzen Haaren.
»Darf ich Ihnen unsere Kollegin Nesrin Yalcin vorstellen? Sie befindet sich mitten im Studium des gehobenen Dienstes der Schutzpolizei und macht hier ein sechswöchiges Praktikum, bevor sie wieder zur Polizeiakademie nach Villingen zurückkehrt. Frau Yalcin, das ist Kollege Nawrod, den ich heute Morgen bei der Frühbesprechung bereits angekündigt habe.«
Nawrod ging auf die junge Frau zu und begrüßte sie. Im Gegensatz zur Pranke des Dezernatsleiters war der Händedruck der jungen Kollegin geradezu eine Wohltat, obgleich er für eine Frau sehr kräftig war. Auf den ersten Blick war ihm die Kollegin nicht unsympathisch. Aber er konnte sich der Frage nicht erwehren, was so ein Grashüpfer bei der Polizei zu suchen hatte. Sie wog keine 50 Kilo und war zwei Köpfe kleiner als er. Wie so ein Floh die Einstellungshürden überwinden konnte, war ihm ein Rätsel.
»Frau Yalcin, Herr Nawrod und Sie bilden während Ihres gesamten Praktikums ein Team. Sie tun nichts, ohne Herrn Nawrod zu informieren. Und Sie, werter Herr Kollege, werden die junge Dame in all Ihre Ermittlungen einbinden. Frau Yalcin möchte etwas lernen, und das kann sie nur, wenn sie Ihnen im wahrsten Sinne des Wortes auf die Finger schauen darf.«
Von daher weht der Wind, dachte Nawrod. Ein bitterer Geschmack machte sich in seinem Mund breit. Das Letzte, was er brauchen konnte, war diese junge Kollegin, die man ihm in den Pelz setzte, um ihn auf Schritt und Tritt zu bespitzeln.
Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, fuhr Wegner fort: »Sie können sich beide gleich mal in die Arbeit stürzen. Vor ein paar Minuten erhielten wir Meldung von einem tödlichen Arbeitsunfall in der Panoramastraße 195. Ein Mann hat dort offensichtlich mit einem Schweißbrenner hantiert und sich dabei ins Jenseits befördert. Dürfte sich um eine klare Sache handeln. Unser Polizeivertragsarzt ist schon verständigt. Er kommt allerdings etwas später, da er vorher noch zu einem Rauschgifttoten fahren muss. Die Kollegen der Schutzpolizei sind bereits vor Ort und sorgen dafür, dass am Leichenfundort nichts verändert wird.«
Er wandte sich an Nawrod: »Ich denke, Sie wissen, was zu tun ist. Der Staatsanwalt will in solchen Fällen die Leichenmeldung noch heute auf dem Tisch haben.«
Nawrod nickte. »Das ist in Stuttgart nicht anders. Ich werde mein Bestes geben.
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