Die Sünde
weiter.
Bei keiner noch so gründlichen Untersuchung hatten die Kriminaltechniker an oder in den Päckchen Spuren gefunden, anhand derer man Rückschlüsse auf das Opfer oder gar den Täter hätte ziehen können. Sicher war nur, dass das Auge die gleiche DNA hatte wie die anderen Körperteile.
Die kleinen Kartons konnte man bei jeder Poststelle kaufen. Sie waren mit dem handelsüblichen Klebeband verschlossen, das es ebenso überall zu kaufen gab. Aufgegeben waren die Päckchen in ganz verschiedenen Postfilialen in Heidelberg. Zumindest lag somit die Vermutung nahe, dass der Täter einen Bezug zu der Stadt hatte, wahrscheinlich sogar hier wohnte.
Schneider und Wohlers klapperten die drei Poststellen ab. Doch mit Ausnahme eines jungen Postbeamten konnte sich keiner der Bediensteten an einen verdächtigen Kunden erinnern. Solche Pakete wurden massenweise aufgegeben. Der junge Beamte meinte, ein Päckchen ähnlicher Art in den letzten Tagen von einer sehr hübschen Frau entgegengenommen zu haben. Sie sei zwar ein paar Jahre älter als er gewesen, aber es habe sich bei ihr um einen absolut steilen Zahn gehandelt. Natürlich habe er sich den Paketaufkleber nicht näher angesehen. Aus Gründen der Diskretion mache er das nie, betonte er. Die Frau würde er auf jeden Fall wiedererkennen. Dessen sei er sich sicher.
Schneider ließ sich die Frau genau beschreiben und hatte dabei den Eindruck, dass der junge Beamte maßlos übertrieb.
Yalcin hatte den Hersteller der Plastiktüten ausfindig machen können. Von dem Geschäftsführer erhielt sie die Auskunft, dass seine Firma die Tüten in millionenfacher Auflage produziere und an Zwischenhändler auf der ganzen Welt verkaufe.
Ähnlich war es sowohl mit dem Schreib- als auch mit dem Packpapier, das zur Auspolsterung der Päckchen verwendet wurde. Für den Text hatte der Täter einen Tintenstrahldrucker verwendet, dessen Marke, Typ und Herkunft nicht festzustellen waren.
Die Presse machte mächtig Druck. In dicken Lettern prangerte sie die schlechte Arbeit der Polizei an und stellte die Frage, wie es möglich sei, dass ein Mensch über einen längeren Zeitraum hinweg bei lebendigem Leib verstümmelt werden konnte, ohne dass die Polizei auch nur die geringste Ahnung habe, wer der Täter sein und welches Motiv diesen grausamen Taten zugrunde liegen könnte.
Über Ralf Manke, den Sachbearbeiter für Öffentlichkeitsarbeit bei der Polizeidirektion Heidelberg, versuchte Nawrod in Erfahrung zu bringen, wie die Zeitungen an ihre Informationen kamen. Ausnahmslos alle Redakteure beriefen sich auf das Presse- und Informationsgeheimnis und gaben keine Auskunft.
Die Mitglieder der Soko kamen nach eingehender Beratung zu dem Schluss, bei der Staatsanwaltschaft Heidelberg einen Durchsuchungsbeschluss für die Räume der Heidelberger Allgemeinen zu beantragen, denn diese Zeitung war die erste, die von dem amputierten Finger berichtet hatte. Durchaus möglich, dass der Täter selbst die Zeitungen mit Informationen versorgte.
Nawrod und Yalcin übergaben den Antrag persönlich dem zuständigen Staatsanwalt. Doch Herr Brügge, ein typischer Vertreter des oftmals trägen Beamtenapparates, ließ sie abblitzen. Er erklärte, dass das Pressegeheimnis absoluten Vorrang vor einem etwaigen Durchsuchungserfolg habe und diese Maßnahme auch nicht im Verhältnis zu den Straftaten stehe, die es selbstverständlich aufzuklären gelte.
»Was meinen Sie, was passieren würde, wenn wir diese Redaktion stürmen?«, fragte er und rückte seine Krawatte zurecht. »Die Presse des ganzen Landes würde sich auf uns stürzen und uns zerreißen, denn wir würden nichts finden. Die Redakteure und Reporter wissen doch genau, wie sie ihre Informanten vor der Polizei wirksam schützen können.«
»Es ist aber unsere einzige Chance, in dieser Sache weiterzukommen. Wir haben sonst keine Hinweise oder Spuren, denen wir nachgehen können«, gab Nawrod mit einem gewissen Nachdruck in der Stimme zu bedenken.
»Und wir müssen leider auch davon ausgehen, dass wir übermorgen die nächste Sendung bekommen werden«, schaltete sich Yalcin ein. »Die Päckchen kamen bisher im Abstand von jeweils vier Tagen. Und wir sollten nicht vergessen, dass es immer eine Steigerung gab.« Yalcin fiel der abgetrennte Kopf Jochen Knapps wieder ein. »Zuerst der Finger, dann das Ohr und anschließend das Auge. Ich schätze, dass wir früher oder später den Kopf des Opfers serviert bekommen, wenn wir den Täter nicht stoppen
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